Wie ein Untoter nicht richtig tot, aber auch nicht richtig lebendig ist, ist ein Zombie-Radweg nicht ganz Radweg, aber auch nicht ganz Gehweg. Es kommt auf den Blickwinkel an:
Dieser Radweg in Bochum-Wattenscheid ist in der einen Richtung – links gelegen – ein ganz normaler Gehweg. Fußgänger müssen ihn benutzen (§ 25 StVO), Radfahrern ist das verboten. In der Gegenrichtung – jetzt rechtsseitig – ist derselbe Weg ausschließlich ein benutzungspflichtiger Radweg (Zeichen 237): Radfahrer müssen ihn benutzen, Fußgänger dürfen nicht.
Kommen sich jetzt Fußgänger und Radfahrer auf diesem Weg entgegen, können beide darauf verweisen, dass der jeweils andere diesen Weg gar nicht benutzen darf. Beide sind vollkommen im Recht. Und das gilt für beide Richtungen!
Das ist ungefähr so sinnvoll und verkehrssicher wie eine Straße, die in beiden Richtungen als Einbahnstraße ausgeschildert ist oder wie eine Autobahn mit nur einer Fahrbahn: da sind dann alle Geisterfahrer.
Damit solche Schildbürgerstreiche der Straßenverkehrsbehörden nicht unbemerkt bleiben, hat der Gesetzgeber in den Verwaltungsvorschriften zu § 45 der StVO die regelmäßige Überprüfung der Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen im Rahmen von Verkehrsschauen vorgeschrieben:
„Die Straßenverkehrsbehörden haben bei jeder Gelegenheit die Voraussetzungen für einen reibungslosen Ablauf des Verkehrs zu prüfen. … Alle zwei Jahre haben die Straßenverkehrsbehörden zu diesem Zweck eine umfassende Verkehrsschau vorzunehmen. … Eine Verkehrsschau darf nur mit Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde unterbleiben.“
De facto besteht dieser Zombie-Radweg schon deutlich länger als zwei Jahre. Eine Rad-Verkehrsschau hat in Bochum zum ersten und einzigen Mal 2009 stattgefunden – auf Initaitive des ADFC Bochum. Das Ergebnis war eine Liste von mehreren hundert Mängeln, obwohl nur ein Bruchteil der Radwege in Bochum geprüft wurde. Wahrscheinlich war dieses beschämende Ergebnis der Grund, warum es bis heute keine weitere Radverkehrsschau geben durfte.
Zugleich macht dieser Radweg klar, warum für eine benutzungspflichte Freigabe linsksseitiger Radwege eine Beschilderung mit Zeichen 237, 240 oder 241 (Radweg, gemeinsamer Fuß-und Radweg, getrennter Fuß- und Radweg) nicht ausreicht:
Würde man diesen Weg an beiden Enden mit dem Zeichen 237 beschildern, wäre klargestellt, dass es sich tatsächlich und ausschließlich um einen Radweg handelt. Das Schild am “linken Ende” hätte allerdings nur die Funktion, Fußgänger darüber aufzuklären, dass es sich um einen Radweg handelt, den Fußgänger eben nicht benutzen dürfen. Diese Beschilderung ist notwendig, weil Gehwege – im Gegensatz zu Radwegen – immer Zwei-Richtungs-Wege sind.
Radfahrer allerdings dürften diesen Radweg immer noch nicht in Gegenrichtung benutzen. Für die Benutzung in Gegenrichtung ist das Zusatzschild mit zwei gegenläufigen Richtungspfeilen zwingend erforderlich. Dann besteht sogar Benutzungspflicht für den linksseitigen Radweg. Allerdings sind für die Anordnung einer Benutzungspflicht auf linksseitigen Radwegen von den Vewaltungsvorschriften zur Straßenverkehrsordnung enge Grenzen gesetzt. Meistens – innerorts fast immer – sind die erforderlichen Voraussetzungen nicht gegeben.
Die Freigabe eines so ausgeschilderten Radwegs zur freiwilligen Benutzung in Gegenrichtung wäre durch ein Zusatzschild “Radfahrer frei” möglich.
In der normalen Fahrtrichtung – rechts gelegen – verstößt dieser Radweg aber auch ohne Freigabe in Gegenrichtung gegen eine grundlegende Anforderung an die Verkehssicherheit: Das Radwegende ist nicht baulich ausgeführt. Radwege müssen zwangsläufig auf der Fahrbahn beginnen und enden, denn Radfahrer müssen die Fahrbahn benutzen, außer es gibt einen Radweg. Diese Bedingung ist hier am Radwegende nicht erfüllt. Dadurch stellt der Radweg eine Gefährdung der Radfahrer dar, denen es nicht möglich ist, ihre Fahrt am Radwegende fortzusetzen – Radfahrer dürfen Gehwege nicht benutzen. Links abbiegen ist erst recht unmöglich.
Der ADFC Bochum hat den Antrag gestellt, diesen Zombie-Radweg sofort aufzuheben. Möge er in Frieden als Gehweg sein Gnadenbrot fristen.
Nur meine bescheidene Meinung und völlig unobjektives Erleben:
“Bei jeder Gelegenheit…” – Klingt toll, ist für einen Beamten / Angestellten des öffentlichen Dienstes aber keine ausreichend exakte Arbeitsanweisung ;) Die Gelegenheit ergab sich halt einfach (noch?) nicht. Wegen des schlechten (zu heiß, zu kalt, zu nass, zu trocken,…) Wetters, wegen des hohen Krankenstandes, wegen des allgemeinen Personalmangel, wegen… – sucht euch was aus.
Die Vorgaben müssen umformuliert werden in klare Muss-Vorschriften: “Jede Straße, jeder Radweg,… muss mindestens einmal im Jahr…!” Ebenfalls müssen die Vorgaben der jeweils aktuellen ERA verbindlich gemacht werden und zwar ohne Entscheidungsspielraum! Entsprechend müssen auch deren Formulierungen angepasst werden: Aus “könnte, sollte, möglichst, wenn aber,…” muss “muss, zwingend, ohne wenn und aber” werden! Nur so lässt sich für alle Beteiligten Rechtssicherheit herstellen!
Solange autofahrende Verwaltungsangestellte mit so schwammigen Formulierungen soviel Entscheidungsspielraum und eine Blankovollmacht für selbstherrliche Entscheidungen bis hin zur völligen Untätigkeit ausgestellt bekommen, wird sich an den Zuständen nichts ändern! Aber wie gesagt nur meine bescheidene Meinung, nicht dass sich noch jemand persönlich beleidigt fühlt!
Erst mal Danke, denn das ist ein richtig guter Artikel. Bei dem Titel bin ich schon aufmerksam geworden und hatte mir erst ganz was anderes vorgestellt. :)
Wenn man das hier liest läuft es einem aber wirklich wie in einem guten Horrorfilm, um bei dem Bild zu bleiben, eiskalt den Rücken runter. Solche “Schildbürgerstreiche”, wie mit diesem Radweg oder Gehweg in Bochum gibt es bestimmt in noch vielen anderen Städten und da wundert man sich, dass die Zahl der Unfälle mit Fahrradfahrern als Unfall beteiligte steigt? Da kann man sich nur dem Wunsch anschließen, dass dieser Radweg in frieden als Gehweg ruhen soll.
Solch einen Radwegirrsinn gibt es auch in anderen Städten. Beispielsweise im hochgelobten Münster. Im Blog “Zukunft Mobilität” durchleuchtet Rasmus Richter das Märchen von der fahrradfreundlichen Vorzeigestadt. Ein sehr lesenswerter Artikel:
http://goo.gl/6wdov
Solch Zombie-Radwege kenn ich auch und, oh Wunder, deren Nutzung – von Radfahrern wie Fußgängern – unterscheidet sich meiner subjektiven Beobachtung nach nicht im Geringsten von anderen Arten von (Geh-)Radwegen.
Aber ein Detail wäre mir neu.
Woraus ergibt sich die linksseitige Benutzung(-spflicht) erst durch Vorhandensein des Zusatzzeichens 1000-33 (zwei gegenläufige Richtungspfeile)unter dem blauen Radwegschild? Gilt dies auch bei VZ240/241?
Ich verstehe den §2 StVO so, dass bereits die Existenz des blauen Lollies am linksseitigen Sonderweg die Benutzungspflicht auslöst. Hab ich was verpasst?