Härtere Strafen für „Rad-Rowdies“? Offener Brief an die Westdeutsche Allgemeine Zeitung

Die WAZ erinnert Radfahrer an Ihre Pflichten und vergisst zu erwähnen, dass sie in den Revierstädten (noch) nicht die gleichen Rechte haben.

Ist das die Meinung Ihrer Zeitung, die Sie in Ihrer Ausgabe vom 31. Januar 2013 in der rechten Kolumne „Die Pflichten der Radfahrer“,  auf der Seite Zwei und auf der Kinderseite äußern?

„Der Umstieg aufs Zweirad hat sich zur Massenbewegung entwickelt.“ Mit anderen Worten, jeden Tag steigen tausende von Autofahrern (im Fachjargon „Nutzer des motorisierten Individualverkehrs (MIV) in der Bundesrepublik um auf das umwelt- und städteklimafreundliche Verkehrsmittel Fahrrad? Schön wär’s!

Die Folgen seien aber Ihrer Meinung nach nicht lebenswertere Städte (wie in unserem Nachbarland Holland) sondern ein großes Problem, nämlich das Problem, das die Polizei mit den „Rad-Rowdies“ hat, gerne auch von der unkritischen Berichterstattung als „Kampfradler“ bezeichnet. Ich zitiere: „In Münster holen die Beamten jeden Tag volltrunkene Pedalritter aus dem Sattel.“ Das muss man sich mal vorstellen – und mit ein wenig Phantasie landet man im Wilden Westen der Karl May Romane.

„Der neue Bußgeldkatalog passt sich also an das wirkliche Leben an.“ Das ist Ihr Fazit. Wie sieht denn das wirkliche Leben für Radfahrer in den Revierstädten aus, lieber Herr Seher? Wir laden Sie ein, eine Woche lang mit uns Fahrrad zu fahren – bei jedem Wetter – mit dem Rad zur Arbeit, zum Studium und zur Schule, abends zum Sport, zum Einkaufen, die Kinder von der Schule abholen. Wir laden Sie ein, an einer der unzähligen von fachkundigen Tourenleitern geführten Radtouren der ADFC-Kreisverbände in NRW teilzunehmen und mit Experten zu sprechen, nämlich mit den Radfahrern: ob alt, ob jung, ob Hausfrau oder Bankangestellte(r), ob ProfessorIn oder StudentIn, Angestellte(r) bei der Stadt oder in einem Wirtschaftsunternehmen. Sie fahren Rad, jeden Tag, bei jedem Wetter. Fragen Sie doch die bitte nach der Realität für Radfahrer in den Revierstädten! Was Sie in dieser Kolumne schreiben, ist eine Verballhornung der Situation und eine Beleidigung der radfahrenden Bevölkerung!

Thema Einbahnstraßen

In dem kurzen Kommentar bezeichnen Sie Einbahnstraßen per se als „gefährliche Alltagssituationen“: „Eine Einbahnstraße ist eben eine Einbahnstraße. Radler mögen da murren.“ In diesem Fall hilft Informieren und Recherchieren:  Wie viele Einbahnstraßen sind in Duisburg, Essen, Mülheim und Oberhausen in den letzten Jahren für den Radverkehr freigegeben worden? Fragen Sie die Kommunalverwaltung oder den örtlichen ADFC. Eine Einbahnstraße ist eben nicht für jeden eine Einbahnstraße! Und noch etwas: „Radler“ ist ein Getränk, ein zuckerhaltiges, erfrischendes Getränk mit geringem Alkoholgehalt, auch „Alsterwasser“ genannt, je nachdem welche Limonade zugefügt wird. In Mittel- und Norddeutschland werden die Menschen, die dieses Getränk gerne trinken, als Radfahrer bezeichnet.

Sie bringen das Ganze dann folgendermaßen auf den Punkt: „Aber sind höhere Geldbußen nicht auch eine Art Anerkennung – als Mitglieder im Club von Verkehrsteilnehmern, die gleiche Rechte – und Pflichten – haben?“ Sie haben aber eben nicht gleiche Rechte! Fahren Sie mit, dann zeigen wir es Ihnen und freuen uns auf die nächste Berichterstattung!

Kinder müssen genauso informiert werden wie Erwachsene

Auf der Kinderseite wird das Thema unter dem Titel aufgegriffen:  „Radfahrer sollen härter bestraft werden“ (denn nur das betrifft Euch Kinder vom neuen Bußgeldkatalog). Das steht aber leider nicht in dem Artikel, dass das Bußgeld für Autofahrer, die beim Ein- und Aussteigen Radfahrer behindern, zukünftig 20 statt heute 10 Euro betragen soll. Aus solchen „Unachtsamkeiten“ können sich schwerste Unfälle auch für radfahrende Kinder ergeben. Und, sie haben ein Recht, darüber aufgeklärt zu werden!

Auswahl der Fotos

Soll das Foto auf der 2. Seite, auf dem ein „rücksichtsloser Radfahrer“ in einer Fußgängerzone zu sehen ist, die Meinung der Redaktion darstellen? Hier hätte auch ein Foto von einem LKW hingepasst, der beim Rechtsabbiegen, einen Radfahrer übersieht (im sogenannten „Toten Winkel“). Es gab einige tödliche Unfälle in den letzten Jahren in unserer Nachbarschaft! Künftig sollen die LKW-Fahrer mit 75,- € zur Kasse gebeten werden und einen Punkt in Flensburg bekommen. Ein willkommener, wenn auch zögerlicher Versuch der Politik, damit umzugehen.

Radwegebenutzungspflicht

Auf der gleichen Seite Zwei wird aufgezählt, was den Radfahrern demnächst an härteren Strafen droht, wörtlich so „Den Radweg ignorieren? Kostet dann 20 bis 35 Euro – statt bisher 15 bis 30 Euro.“ Hier hätte ein Satz zu dem neuen Gesetz hingehört, das 2010 in Kraft getreten ist und die Radwegebenutzungspflicht fast gänzlich aufhebt. Hier sind wir Verkehrsverbände aufgerufen verstärkt zu informieren!

Im Pressespiegel  in Funk und Fernsehen wird regelmäßig verbreitet, was die großen Zeitungen der Republik zu angesagten Themen zu sagen, vielmehr zu schreiben haben. Und das Thema Radfahren ist zurzeit in aller Munde, das Thema Verkehrssituation in Metropolen wie der unseren und der Zustand von Straßen und Brücken genauso. Die Zeitungen der Mediengruppe WAZ, NRZ sind die Meinungsmacher im Ruhrgebiet. Wenn die Situation im Straßenverkehr friedlicher werden soll, im Sinne von gegenseitiger Rücksichtnahme, dann muss auch eine andere Berichterstattung her, eine andere Wortwahl, genaueres Abwägen von Pro und Contra, Informieren statt Postulieren.

Solange die Medien von „Kampfradlern“ oder „Rad-Rowdies“ sprechen und sich dieser phantasievollen, tendenziösen Sprache der Boulevardpresse bedienen, wird es sie auch geben und zwar gerade deshalb!

Mit freundlichen „Radler“grüßen

Brunhilde Böhls, ADFC Oberhausen/Mülheim

Koordinatorin der Fahrradinitiative der Universität Duisburg-Essen: www.uni-due.de/fahrrad

Über Gastbeitrag

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6 Antworten zu Härtere Strafen für „Rad-Rowdies“? Offener Brief an die Westdeutsche Allgemeine Zeitung

  1. Malte Hübner sagt:

    Im Jahr 2010 ist kein Gesetz in Kraft getreten, dass die Radwegbenutzungspflichten fast gänzlich aufhebt. Der ADFC möge endlich aufhören, so etwas zu behaupten.

  2. Wie Malte sagt, wurde kein Gesetz zur fast gänzlichen Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht erlassen. Richtig ist, dass es ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes gab, das zur Folge hat, dass viele der – teils blindlings teils aufgrund der aufblühenden Rad-Renaissance geschuldet – aufgestellten blauen Schilder nun wieder demontiert wurden und werden.
    Falsch ist jedoch, dass der ADFC diesen Fehler, der Brunhilde nun – sicher ohne böse Absicht – unterlaufen ist, behauptet. Vielmehr fasst der ADFC die Fakten ordentlich zusammen, wie z.B. hier nachzulesen ist: http://www.adfc.de/news/archiv-news-2011/grundsatzurteil-zur-radwegebenutzungspflicht-veroeffentlicht .
    Darüber hinaus sei angemerkt, dass dieser Blog lediglich vom ADFC aufgesetzt wurde. Vermutlich sind auch die meisten Blogger ADFC-Mitglieder. Aber in der Beschreibung über den Blog: https://adfc-blog.de/ueber-diesen-blog/ steht ausdrücklich: “Die Texte geben nicht eine offizielle Meinung des ADFC NRW wieder. Es soll vielmehr auch möglich sein, ein Thema aus individueller Sicht darzustellen und darüber zu diskutieren. Alle Blog-Beiträge sind unzensiert und ungefiltert.”

    • Malte Hübner sagt:

      Unabhängig davon, ob sich der ADFC NRW nun von diesem Blog distanziert oder nicht habe ich diese Behauptung mit dem Gesetz leider schon recht vielen „höheren“ ADFC-Mitgliedern in den letzten Jahren hören müssen; das geistert da offensichtlich irgendwo herum. Ohne jetzt auf Brunhilde rumhacken zu wollen: Zwischen einem Urteil, selbst wenn es vom Bundesverwaltungsgericht ausging, und einem Gesetz liegt nunmal noch ein himmelweiter Unterschied, der wenigstens mir persönlich recht wichtig ist, da er die Diskussionen über Radwegbenutzungspflichten in eine vollkommen andere Richtung lenkt.

  3. Michael HA sagt:

    Vielen Dank für diesen guten offenen Brief an die WAZ. Woher kommt eigentlich die fahrradfeindliche Berichterstattung? Auch beim WDR-Fernsehen findet man häufiger eine fahrradfeindliche Meinung, während man beim Radio (z. B. WDR 5) wesentlich rationaler mit dem Thema umgeht. Als Koordinatorin der Fahrradinitiative der Universität Duisburg-Essen sollte man allerdings wissen, dass die allgemeine Radwegebenutzungspflicht bereits mit der StVO-Änderung 1997 abgeschafft wurde, jedoch leider nicht ganz. Wo ein blauer Lolli steht gilt immer noch das Fahrbahnverbot, auch wenn diese Schilder in der Regel rechtswidrig aufgestellt wurden.

  4. Mario sagt:

    Malte, fährst Du überhaupt Fahrrad?

  5. Brunhilde Böhls sagt:

    Danke für den Hinweis auf den groben Fehler hinsichtlich der Verwechselung von Gesetz und Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Mea culpa. Es ist natürlich nicht “der Fahrrad-Club”, der das schreibt, sondern eine seit den 90er Jahren Aktive dieses Clubs. Danke aber vor allen Dingen, lieber Albert, für die Richtigstellung und den weiterführenden Link. “Aus Fehlern wird man klug”, sagte ich mir und schaute nach. Der nachfolgende Satz scheint mir in dem Zusammenhang wichtig und die Frage, wie diese Entscheidung wohl in jeder Kommune umgesetzt wird?
    “Das Bundesverwaltungsgericht fasst seine abschließende Entscheidung so zusammen: Eine Radwegebenutzungspflicht darf nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Rechtsgutbeeinträchtigung erheblich übersteigt. Das Gericht wies die Revision der Stadt Regensburg und der Landesanwaltschaft Bayern zurück. Straßenverkehrsbehörden in ganz Deutschland werden diese Entscheidung zu beachten haben.”

    Mein Blog zielte allerdings in eine andere Richtung als über die Umsetzung von Gerichtsentscheidungen in die Realität, obwohl ich das auch ganz wichtig finde. Es geht mir um die Macht der Sprache (Medien) und die Wirkung auf die Leser. Hier kann man viel falsch, aber auch vieles wieder gut machen. :-) Die Einladung an Journalisten ist ernst gemeint.

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