“Überraschendes” Ergebnis einer Studie der Unfallforschung der Versicherer

Foto: UDV – Unfallforschung der VersichererAutofahrer vergessen beim Abbiegen viel zu oft den Schulterblick oder können wegen Sichtbehinderungen und ungünstig geführter Radwege gar nichts sehen. Deshalb kommt es häufig zu schweren Unfällen mit geradeausfahrenden Radfahrern. Diese Konfliktsituation hat die Unfallforschung der Versicherer (UDV) in einem Forschungsprojekt detailliert untersucht und die Ergebnisse jetzt vorgestellt.

Bei einem Crashtest wurden die dramatischen Auswirkungen eines solchen Abbiegeunfalls gezeigt. “Obwohl die beiden Protagonisten dabei “nur” mit etwa 20 km/h unterwegs waren”, so Siegfried Brockmann, Leiter der UDV, “hätte ein Radfahrer bei einer solchen Konstellation schwerste oder gar tödliche Verletzungen davon getragen.” Innerorts ist jeder vierte Getötete im Straßenverkehr ein Radfahrer. Als besonders gefährlich haben sich Konflikte zwischen abbiegenden Kraftfahrzeugen und geradeausfahrenden Radfahrern herausgestellt. Eine Unfallart, die fast ausschließlich vom Autofahrer verursacht wird und in 80 Prozent der Fälle mit Verletzten endet. An die Autofahrer appelliert Brockmann angesichts der oft unübersichtlichen Abbiegesituationen, den Schulterblick konsequent anzuwenden und im Zweifel auch mehrmals zu schauen. “Radfahrer sollten an Kreuzungen besonders aufmerksam sein und zur eigenen Sicherheit auch einmal auf ihr Vorfahrtsrecht verzichten”, rät Brockmann.

Ergebnisse der UDV-Studie:
* Unfälle mit abbiegenden Kfz und geradeausfahrenden Radlern passierten zu zwei Drittel beim Rechtsabbiegen.
* Unfälle mit Verletzten waren sechsmal so häufig wie im Gesamtunfallgeschehen.
* In 90 Prozent der Fälle hatte der Kfz-Fahrer die Hauptschuld.
* Anteil der Lkw und Lieferwagen unter den Unfallgegnern: 11 Prozent.
* Unfallauffällig waren an Ampeln vor allem Radwege, die zwischen zwei und vier Meter von der Straße abgesetzt waren. Bei Kreuzungen ohne Ampeln waren es die, die mehr als vier Meter abgesetzt waren. Hier waren oft Sichtbehinderungen vorhanden.
* Unfallbegünstigende Faktoren: Linksfahrende Radfahrer, Radfahrer auf dem Gehweg und abschüssige Straßen.
* Bei der Verhaltensbeobachtung wurde vor allem der fehlende Schulterblick festgestellt (in jedem 5. Fall). Bei Konflikten mit Radfahrern hatte sogar jeder dritte Autofahrer den Schulterblick “vergessen”.
* Häufigste Fehler bei den Radlern: Fahren in falscher Richtung und queren an Fußgängerfurten.

Bei den Kraftfahrzeugen sollten nach Ansicht der UDV Abbiegeassistenten weiterentwickelt und die Chancen der Vehicle-to-Vehicle-Kommunikation (Informationsaustausch zwischen Fahrrad und Auto) genutzt werden. Schließlich müssen die Verkehrsräume so gestaltet werden, dass im Kreuzungsbereich eine freie Sicht auf die Radfahrer gegeben ist. Der Radverkehr sollte daher auf Radwegen nahe an der Fahrbahn oder auf Radfahrstreifen auf der Fahrbahn geführt werden. Wo möglich, sollten eigene Ampelphasen für Radfahrer geschaltet werden.
Fakten zu Radverkehrsunfällen in Deutschland:
* 2012 gab es 74.961 Unfälle mit Radfahrern und Personenschaden. Dabei wurden 417 Menschen getötet, 14.496 schwer verletzt und 64.835 leicht verletzt.
* Jeder fünfte Schwerverletzte ist ein Radfahrer.
* Jeder vierte getötete und jeder dritte schwerverletzte Radfahrer verunglückte alleine.
* Kein Rückgang der Fahrradunfälle von 2000 bis 2012.
* 54 Prozent der getöteten Radfahrer waren über 65 Jahre alt.
* Häufigste Fehler der Radfahrer: falsche Fahrbahn oder falsche Straßenseite, Alkohol und Einfahren in den fließenden Verkehr.
* Häufigste Fehler der Autofahrer: Fehler beim Abbiegen, Nichtbeachten der Vorfahrt und Einfahren in den fließenden Verkehr.

Eine Telefonbefragung zeigte auf, dass beim Abbiegen geltende Vorfahrtsregeln im Allgemeinen bekannt sind. Jedoch wussten 85 % der befragten Rad- und Kfz-Fahrer nicht, dass Radfahrer Radverkehrsanlagen nur benutzen müssen, wenn diese ausgeschildert (benutzungspflichtig) sind. Signifikante Unterschiede zwischen Kfz- und Radfahrern bestanden hierbei nicht.

Überraschend an der Studie ist eigentlich nur die fehlende Umsetzung bei verantwortlichen Verkehrsplanern und Straßenverkehrsbehörden. Immer noch gibt es neue Radverkehrsanlagen, die keinen schon lange bekannten Erkenntnissen von Unfallforschern gerecht werden oder sogar klar gegen Rechtsvorschriften verstoßen.
Bei bestehenden benutzungspflichtigen Anlagen ist häufig eine fehlende Finanzierung Hauptgrund, gefährliche Situationen einfach unverändert zu lassen. Dabei gibt es bereits Entscheidungen von Oberverwaltungsgerichten, die eine Handlungspflicht unabhängig von der Kassenlage der Staßenbaulastträger sehen.
Verantwortlich ist auch nicht selten eine Entscheidung politischer Gremien. Mangelnder Sachverstand ist den Politikern nicht unbedingt vorzuwerfen. Schließlich wurde lange die Separierung des Radverkehrs auf Bordsteinradwegen als beste Lösung gesehen.  Allerdings ist den Aufsichtsbehörden vorzuwerfen, diese fehlerhaften Entscheidungen nicht zu beanstanden und die Politik aufzuklären.
Da bleibt für Menschen, die sich für besseren und sichereren Radverkehr einsetzen, noch eine Menge Arbeit und notfalls  das Durchsetzen besserer Lösungen mit Hilfe von Gerichten.

Über Michael Kleine-Möllhoff

Meine Fahrten erledige ich meist mit dem RAD oder dem ÖPNV. Ein Auto benötige ich sehr selten. Verantwortlich bin ich für die Zeitschrift RAD im Pott. Vorstandsmitglied im ADFC-NRW und ADFC-Duisburg.
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4 Antworten zu “Überraschendes” Ergebnis einer Studie der Unfallforschung der Versicherer

  1. Pedelecer sagt:

    Ich würde ja mal gern wissen, was daran “überraschend” sein soll? Das war vielen schon vorher bewusst. Mein Verdacht ist, das die UVD nur die Erkenntnisse aus dem Jahr 2011, veröffentlicht 2012 auf die Radfahrer überträgt. Gleiches wurde schon für Pedelecer inszeniert um eine “allgemeine Pedelec Haftpflichtversicherung” zu etablieren. Leider steht in ihren Zahlen nicht, wie viel mehr Menschen mit dem Rad fahren als im Jahr 2000.
    Denn das ist auch unbestritten. Immer mehr Leute fahren bei gutem Wetter mit dem Rad, nicht nur zur Arbeit, aber gerade dort hin. Mehr Radfahrer bedeutet aber nicht mehr Raum, aber leider auch nicht mehr Rücksicht auf andere.
    Da Städte und Gemeinden pleite sind, werden die Kreuzungen und auch die Radwege nicht umgestaltet. “Was Geld kostet kann man sich nicht leisten”-provokant gesprochen!
    Leider wird unsere Gesellschaft auch immer älter, doch jeder möchte noch am Verkehr teilnehmen. Deshalb:Mehr Rücksicht-mehr Achtung gegenüber dem Anderen!

  2. Bei den Kraftfahrzeugen sollten … die Chancen der Vehicle-to-Vehicle-Kommunikation (Informationsaustausch zwischen Fahrrad und Auto) genutzt werden.

    Erste Autos mit Car2Car und Car2Infrastructure kommen derzeit auf den Markt. Car2Bike gibt es nicht, und es wäre auch schwierig zu realisieren, denn dazu müssten Radfahrer und Fahrräder mit allerhand Sensorik, Funktechnik, Energieversorgung etc. ausgestattet sein. Ich vermute nach wie vor, dass diese Technik eher die bestehende Separierung fördert als aufhebt. Siehe meinen Artikel unter https://adfc-blog.de/2012/03/hightechtalk-car2car-kommunikation-und-die-radfahrer/

  3. Peter Bracht sagt:

    Diese Studie ist keineswegs überraschend – die Ignoranz der Verkehrsplaner überrascht mich allerdings doch immer wieder. Gerade die Rechtsabbieger-Unfälle lassen sich a) sehr leicht in der Schere reduzieren und b) durch geringfügige bauliche Maßnahmen auch wirksam verhindern. Um die Schwere zu reduzieren muss endlich in Städten flächendeckend Tempo 30 eingeführt werden. Tempo 50 ist allenfalls dann noch tragbar, wenn es sich um mehrspurige Straßen handelt, die baulich so abgetrennt sind, dass sich dort ohnehin keine Radfahrer aufhalten, Stichwort “Stadtautobahnen” usw. Für die wirksame Verhinderung braucht es statt der bisher praktizierten Absenkung der Bordsteine an Kreuzungen lediglich das Gegenteil, nämlich die Anhebung der Radtrasse, dort wo sie über Straßen führt. Das zwingt die Autofahrer zum langsamen Queren und verhindert diese Unfälle wirksam. Wenn dann noch die Benutzungspflicht für Radwege generell abgeschafft wird, wären wir einen deutlichen Schritt weiter. Eigentlich handelt es sich dabei um logische, einfach umzusetzende und wirksame Maßnahmen – aber wie so oft hat die Politik an sowas kein Interesse, müsste sie doch dafür die heilige Kuh des Deutschen, das Auto, schlachten. Und auch das kostet Wählerstimmen. Ein paar tote Radfahrer kosten im Vergleich dazu offenbar nicht genug Wählerstimmen.

  4. N.M. sagt:

    Es ist wirklich faszinierend (und erschreckend), wie immer wieder die selben Erkenntnisse gewonnen und die falschen Schlüsse daraus gezogen werden. Wir brauchen keine anderen Radwege und Radwegführungen, sondern es müssen die Fahhräder (wieder) dort fahren (können), wo sie hingehören: vor und hinter anderen Fahrzeugen, nicht daneben! Rechtsabbiegeunfälle zwischen KFZ und Fahrrädern geschehen auch wegen fehlender Sichtbeziehungen, aber nicht ausschließlich deswegen. Der Hauptfehler ist eine Verkehrsführung, bei der Geradeausfahrende rechts neben Rechtsabbiegenden geführt werden.

    Wer Fahrräder passieren möchte, sollte bewusst und aktiv überholen müssen, nicht einfach nur daran vorbeifahren. Aber anstatt dagegen anzugehen, wird folgende Forderung erhoben:

    | Der Radverkehr sollte daher auf Radwegen nahe an der Fahrbahn
    | oder auf Radfahrstreifen auf der Fahrbahn geführt werden.

    Auch dabei kommt es zu Rechtsabbiegeunfällen, weiterhin werden weitere Probleme geschaffen:
    _ Fahren im Türöffnungsbereich parkender PKW,
    _ kein ausreichender Sicherheitsabstand beim Überholen,
    _ Gewöhnung daran, dass nur auf markierten Spuren mit Radfahrern gerechnet werden muss (oder sie gar nur dort fahren dürften).

    Wann endlich kommt man von diesem gtefährlichen Unsinn separater Radwegeführungen weg?

    Und wann endlich positioniert sich der adfc ‘mal deutlich dagegen, statt so etwas zu fordern und zu befürworten?

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