“Nahmobilität & Gesundheit – Bewegungsräume in der Stadt”. Ein bisschen sperrig klang das Motto des diesjährigen AGFS-Kongresses am 20. und 21. Februar in Essen schon. Aber auf einem Fachkongress darf man so reden. Dass eine Verwaltung in der Kommunikation mit ihren Bürgern besser eine andere Sprache pflegt und wie das geht, erklärte Gudrun Rönfeld von der Stadt Graz in einem viel beachteten Vortrag am ersten Kongresstag.
Graz lässt die Mythen platzen
Graz hat mit 265000 Einwohnern die typischen Verkehrsprobleme eines Oberzentrums, ist aber mit gut 120 Quadratkilometern von überschaubarer Größe. Das hat die Verwaltung ermutigt, die Nutzung des Fahrrads und das Zufußgehen mit gezielten Kommunikationskampagnen zu fördern. Sie setzt dabei ganz professionell auf einheitlichen Brand mit zielgruppenspezifischer Anprache, Sichtbarkeit im öffentlichen Raum und interdisziplinärer Beteiligung aller Interessenträger – einschließlich der Bürger selbst. Die Kampagnen der vergangenen Jahre hatten klare Botschaften: “Graz steigt um!” wandte sich mit emotionalen und dynamischen Motiven an potenzielle Umsteiger vom Auto aufs Fahrrad. “Die Stadt liegt Dir zu Füßen” sollte mit künstlerisch-sinnlichen Motiven zeigen, dass auch das Zufußgehen eine souveräne und genussvolle Art der Fortbewegung sein kann. Ungewöhliche Sujets wie “Die Grüne Welle löst alle Probleme? – Wir lassen die Mythen platzen!” sorgen für Diskussionen, und das wöchentliche Grazer CityRadeln bezog die Bürger ein. (Übrigens: Ähnliches fand mit großem Erfolg im vergangenen Jahr in Mönchengladbach unter dem Motto 200 Tage Fahrradstadt statt. Allerdings nicht unter der Regie der Stadt, sondern als Projekt der Gladbacher Künstlers Norbert Krause.)
Urban Troll löst Helmi ab
Viel Raum bekam die Mobilitätserziehung in Gudrun Rönfelds Vortrag. Mit gutem Grund, denn die sportwissenschaftlichen Untersuchungen ihres Vorredners Achim Schmidt (Uni Köln) hatten deutlich gezeigt, welche gesundheitlichen Folgen mangelnde Bewegung bei Kindern hat. Also rauf aufs Rad mit den Kleinen! Und heute muss das nicht mehr von defensiv-verdrucksten Botschaften wie “Schütz dich! Augen auf! Autos sind gefährlich!” begleitet sein, für die der etwas pummelige Helmi steht. In Österreich gibt es jetzt den sportlich-coolen Urban Troll, der den Kindern sagt: “Das sind die Regeln und das sind deine Rechte im Verkehr!”
Natürlich darf man die entwicklungspsychologischen Stationen der Kinder nicht vergessen: Erst mit 9 Jahren ist die für das Schätzen von Entferungen wichtige Tiefenschärfenwahrnehmng voll entwickelt. Kinder sind egozentrisch im Sinne von “Ich sehe das Auto, also sieht es mich auch”, und der Transfer vom Schonraum in den realen Verkehrsraum gelingt erst den Zwölfjährigen. Deshalb organisiert Graz auch Fahrradtrainings für Familien.
Zum Schluss noch zwei Pro-Tipps von Gudrun Rönfeld: Auch wenn intern der Fachjargon benutzt wird – in den Kampagnen sollte man nicht von “Sanfter Mobilität” sprechen, worunter viele sich nichts vorstellen können, sondern schlicht und einfach von “Radeln und Zufußgehen”. Und sie rät auch, versteckte Botschaften zu vermeiden. Statt die Kinder mit Verhaltensauflagen für die Erwachsenen zu impfen, sollt man lieber die Erwachsenen direkt anzusprechen.
Pingback: VeloCityRuhr – Februar 2014 im Rückblick | VeloCityRuhr