Hügelige NRW-Radtour bei schweißtreibenden Temperaturen: 750 Dauerteilnehmende sowie jeweils einige hundert Tagesteilnehmende fuhren in vier Etappen vom 17. bis 20. Juli aus dem märkischen Sauerland ins östliche Ruhrgebiet. Der ADFC NRW stellte als Partner die bewährten ADFC-Tourscouts.
Die Veranstaltergemeinschaft aus WestLotto, NRW-Stiftung und WDR 4 lässt bereits auf wesentliche Eigenschaften der Tour schließen: Anspruch der Tour ist es, in jährlich wechselnden Regionen die aus den WestLotto-Überschüssen und von der NRW-Stiftung unterstützten Projekte aus den Bereichen Naturschutz sowie Heimat- und Kulturpflege zu besuchen. Die NRW-Radtour 2014 führt etwa entlang der Märkischen Museumseisenbahn in Plettenberg, der Burg Altena, einem Naturschutzgebiet in der Ruhraue bei Hagen oder des Hoesch-Museums in Dortmund.
Viele Teilnehmende sind Wiederholungstäter und vergleichen mit den letzten Touren – oftmals endet das dieses Jahr in Bemerkungen über das hügelige Terrain. Nun ja, im Sauerland ist die Topographie halt oftmals etwas bewegt. Veranstalter und ADFC-Tourenscouts haben dabei eine bunte Mischung aus Nebenwegen und Hauptstraßen, Hügeln und Flußtälern, Groß- und Kleinstädten vorbereitet. Die hohen Temperaturen tragen das übrige bei, so dass die NRW-Radtour 2014 eine richtig heiße Angelegenheit wird und der Mineralwasser-Sponsor insgesamt über 7000 Liter Getränke ausgibt.
Etappe 1: Von Plettenberg nach Lüdenscheid
Großer Bahnhof im märkischen Plettenberg: Zum Start geben sich Landrat Thomas Gemke und Plettenbergs Bürgermeister Klaus Müller die Klingel in die Hand. Gut tausend Rad Fahrende läuten die NRW-Radtour 2014 mit einem Klingelkonzert ein und erleben die höhenmeterreichste Etappe der Tour, wahrscheinlich aller bisheriger NRW-Radtouren. Plettenberg liegt an der Lenne, zum Pausenort Herscheid geht es durch die schöne Sauerländer Landschaft kräftig bergauf. Die Belohnung wartet: Kuchen! Dazu eine angenehm kühle Schützenhalle. Über weitere Hügel ab nach Lüdenscheid. Die Etappenziele liegen immer mitten in der Innenstadt vor einer großen Bühne: Medienpartner WDR 4 wartet dort abends mit Konzerten auf. In Lüdenscheid gibt Guildo Horn mit seinen Orthopädischen Strümpfen die Rampensau.
Etappe 2: Von Lüdenscheid nach Hagen
Es geht zurück zur Lenne: Über viele Hügel, teilweise bergab langsamer als bergauf, rollt der Tross zurück ins Flusstal, um dort in Altena zu rasten.
Die Fahrräder verbleiben unten am Fluss, aber die eigentliche Rast findet stilecht in der Burg Altena statt, Ort der ersten Jugendherberge der Welt (1914). Gaukler und Spielleute erheitern das Publikum, aber besonders begehrt sind Schattenplätze und Gulaschsuppe. Applaus gibt’s für Kibo, der als einziger Teilnehmer mit dem Fahrrad den steilen Berg bis hoch hinein in den Burghof erklimmt.
Jetzt könnte es gemütlich entlang der Lenne nach Hagen gehen. Aber zur Nachmittagsrast ist noch ein Abstecher nach (Kern-)Iserlohn vorgesehen – und das liegt eben einige Meter höher. Doch trotz des schweißtreibenden langen, aber letztlich erträglichen Anstiegs lohnt sich der Abstecher: Kein Pausenort hat so viel Fläche und Entspannung zu bieten wie der Iserlohner Platz an der Bauernkirche. Die Teilnehmenden stürzen wie gewohnt auf Wasser, Kaffee und Kuchen und freuen sich über die vielen Sitzplätze unter der großen Blutbuche auf dem weitläufigen Platz. Bürgermeister Peter Paul Ahrens begrüßt die Truppe neben einem historischen Hochrad, viele Rad Fahrende liegen flach im Gras unter den Bäumen.
Wo es bergauf ging, geht es auch (auf einer Parallelstrecke) wieder runter zur Lenne! Nach einem weiteren Stück Lenneroute muss zur Hagener Innenstadt noch ein Berg überwunden werden, so dass auch hier eine entspannte Talankunft erfolgt. Abends erfreut man sich an der Coverband Abba 99.
Etappe 3: Von Hagen nach Dortmund
Mit dem Zug sind es nur ein paar Minuten von HA nach DO – aber mit dem Fahrrad sind die Umwege manchmal viel schöner. Und so geht es entlang Lenneroute und Ruhr nach Schwerte. An der historischen Rohrmeisterei, heute ein Veranstaltungszentrum, gibt es leckere Stärkung. Mit dem Übertritt in den Kreis Unna steigen auch die Preise, so ist das Mittagessen in Schwerte und die Nachmittagsrast in Unna deutlich teurer als in Altena bzw. Iserlohn. Passt zu den Wohnungsmieten… Dazu leider sowohl in Schwerte als auch in Unna nicht annähernd so viele Schattenplätze wie in Iserlohn. Denn dieser Tag fordert die Teilnehmenden nicht nur mit der längsten Strecke, sondern auch mit den höchsten Temperaturen. Von der Ruhr aus den Haarstrang nach Unna zu erklimmen, stellt für viele Rad Fahrende erkennbar eine große Herausforderung dar. Wohl auch aus diesem Grund wird das Feld immer länger: Während die Führungsfahrzeuge die avisierte Ankunftszeit im Blick haben, fahren so einige Teilnehmende an ihrer persönlichen Grenze und fallen zurück. Auf dem Abschnitt Unna-Dortmund ist die sonst so souverän begleitende Polizei erkennbar überfordert, immer mehr Straßenkreuzungen werden nur kurz abgesichert und schnell weiter gefahren. So ergeben sich beispielsweise an der Unnaer B1-Kreuzung und einigen Dortmunder Kreuzungen brenzliche Situationen, als ungeduldige KFZ-Führende mit Vollgas quer durchs Feld schießen oder mitten im Feld fahren. Auf Dortmunder Gebiet wird die Tour leider über den engen (und staubigen) Emscher-Radweg geleitet. Genauso wie auf dem Holzwickeder Abschnitt des Ruhrtalradweges verhüllt eine Staubwolke die Rad Fahrenden. Diese “Wassergebundenen Decken” sind für allein Fahrende schon reichlich ätzend – aber für eine solch große Gruppe schlicht unerträglich. Leider wird im Kreis Unna auch heute noch oftmals so gebaut.
Im Gegensatz zur Hagener Sporthalle gibt’s im Dortmunder Sportquartier wieder warmes Wasser – denn Staub, Sonnenmilch und Schweiß müssen runter, bevor es zur Beatles-Coverband geht. Heute mit “live”-Übertragung auf WDR 4.
Etappe 4: Von Dortmund nach Lünen

ADFC NRW Landesvorsitzender Thomas Semmelmann gibt den Startschuss zur Abschlussetappe (Foto: Martin Isbruch)
Zur Abschlussetappe hat sich besondere Prominenz angesagt: ADFC-Landesvorsitzender Thomas Semmelmann gibt den Startschuss und geht natürlich auch selbst auf die heute etwas flachere Strecke über Waltrop nach Lünen. Der Pausenort Waltrop erfreut nicht nur durch die historische Kulisse der ehemaligen Zechengebäude. Der dort ansässige Kuriositätenhändler manufactum hat zwar geschlossen, Nachbar Hase Bikes jedoch bietet einen Parcours mit Probefahrten seiner Trikes und Tandems an. Der manufactum-Caterer schießt mit dem Preis für’s Mittagessen den Tour-Vogel ab. Nicht jedeR findet die günstigere Alternative: Leckeren Eintopf zum erträglichen Preis.
Quartiere – Wo bringt man 750 Rad Fahrende unter?

Kraft für den nächsten Tag – die Pedelec-Fraktion an der Stromtankstelle im Sportquartier (Foto: Martin Isbruch)
Teilnehmende haben die Wahl: Für einen höheren Preis ins Hotel gehen oder Geld sparen im Sportquartier. Viele Hotels liegen nicht direkt in Innenstadtnähe, die Sporthallen aber grundsätzlich in fußläufiger Entfernung. Diese Sportquartiere dürften auch einen Teil des Kult-Charakters der NRW-Radtour ausmachen: Mit hunderten anderen Rad Fahrenden auf Matratzen in Sporthallen schlafen funktioniert viel besser als man vorher vermuten mag. Natürlich sind die Sanitäreinrichtungen nicht auf Übernachtungsgäste eingerichtet: Geringe Anzahl von Toiletten und einfache Gemeinschaftsduschen erfordern eine gewisse Toleranz. Wenn es dann wie in Hagen noch nicht einmal warmes Wasser gibt oder in Dortmund die fehlende Lüftung ausgeglichen wird durch warme Heizungen, wird diese Toleranz schon ordentlich strapaziert. Beim Frühstück ist mancher Caterer tatsächlich erstaunt, dass Rad Fahrende vor allem eins haben: Hunger! Trotzdem: Das Sportquartier passt sehr gut zur NRW-Radtour und die Atmosphäre unter den Teilnehmenden ist durchweg gut.
Publikum – Wen trifft man auf so einer Tour?
Manchmal beschreibt man eine Gruppe einfacher, wenn man aufzählt, wer nicht dazugehört: Rennrad Fahrende und Mountain-Biker sind überhaupt nicht zu sehen, auch Langstrecken-RadlerInnen eher selten (extrem wenig Fahrräder sind mit LowRidern ausgerüstet). Alltagsradfahrende waren wohl ein paar dabei, aber die große Mehrheit bildeten Menschen, die einfach gerne Fahrrad fahren, dies aber nicht so verbissen sehen. Und häufig im Alltag aus irgendwelchen Gründen kein Rad fahren (für Portland-Studien-Eingeweihte: Mit Sicherheit viele aus der großen “interested, but concerned”-Gruppe).
Fast ausschließlich Trekkingräder in unterschiedlichen Preisstufen sind zu sehen, jedoch nur wenige der teuren Reiseradmarken. Zumeist “normale” durchschnittliche Ketten- und Naben-Schaltungsgruppen, gelegentlich mal eine Rohloff. An den beiden ersten Tagen erreicht die Pedelec-Quote bald 40-50 %, dies relativieren auf den letzten beiden Etappen viele Tagesgäste mehrheitlich ohne Motorunterstützung. Aus der Liegesicht des Autors werden erfreulich viele qualitativ hochwertige Beleuchtungseinrichtungen gesichtet. Tagfahrlicht verbreitet sich auch in dieser Gruppe immer mehr, genauso breitflächigere Rückleuchten.
Ein paar Spezialräder erfreuen die Teilnehmenden: Da das Gepäck zum Transport abgegeben werden kann, reicht zwei Rad Fahrenden das Faltrad aus. Vier Herren vertreten die Liegeradfraktion, davon ein Liegetrike. Auf den langgezogenen Bundesstraßenstrecken im Sauerland finden sich diese schnell und geraten ins Fachsimpeln. Wohl auch, weil man sich auf gleicher Höhe eben einfach besser unterhalten kann. Viele “Hochrad” Fahrende nutzen die Gelegenheit und fragen interessiert nach den Fahrrädern und Erfahrungen der Liegeradler.
Die Tour-Organisation
Für viele Teilnehmende dürfte die Komplett-Organisation der Veranstalter der Grund für die (wiederholte) Teilnahme sein. Ohne eigenen Planungsaufwand ein schönes Stück NRW per Fahrrad kennen lernen zu können, ist ohne Frage sehr entspannend.
Die Organisation ist sehr professionell, man merkt die jahrelange Erfahrung. Morgens und abends gibt es schriftliche Informationen zur Etappe bzw. zu den Unterkünften, die Betreuung durch ADFC-Tourscouts, Reparaturfahrzeug, Mineralwasser-Sponsor, Sanitätsdienst und Polizei läuft gut. Der Gepäcktransport erleichtert die Tour für viele enorm, die zur Verfügung gestellten Matratzen im Sportquartier reduzieren das notwendige Gepäck nochmals.
Partner der NRW-Radtour ist der ADFC NRW, und so sind Kreisverbände bzw. Ortsgruppen in Plettenberg, Iserlohn und Lünen mit Infoständen präsent als AnsprechpartnerInnen der Fahrradlobby. Auch während der Tour ergeben sich interessante Gespräche für die beiden mitreisenden Landesvorstände.
Fazit
Eine tolle Tour! Nichts für Leute, die lieber alles selbst planen und nicht genügend Toleranz für eine so große Zahl von unterschiedlichen Rad Fahrenden mitbringen. Aber gerade unter diesen lernt man schnell tolle Menschen kennen, die Stimmung unter den Teilnehmenden ist durchweg gut. Und wer die WDR 4-Shows nicht mag, findet in den Etappenstädten immer auch andere Möglichkeiten der Abendgestaltung …
Weitere Fotos der NRW-Radtour finden sich auf der Tour-Website und deren facebook-Account.
Vielen Dank für den Bericht und die interessanten Einblicke zu verschiedenen “Begleitaspekten”!
Super Artikel :)
Danke! War wirklich angenehm zu lesen, da bekommt man glatt selber Lust wieder los zu radeln!
Gruß Ron