Erste Eindrücke meines Aufenthaltes in Kopenhagen

Bild1: Radfahrer vor Kreuzung in Kopenhagen
Diese Stadt ist erfrischend anders! Überall im Stadtgebiet sind sehr viele Radfahrer unterwegs. Das Schöne ist, man sieht Kinder, Jugendliche, junge Hippster, ganze Familien, Leute in Abendgarderobe auf dem Weg zur Party, Touristen, Manager im Anzug und Damen im gesetzteren Alter auf dem Fahrrad. Radfahren ist hier keine Sache von ein paar Freaks, sondern die ganze Gesellschaft und alle Schichten nehmen daran teil. Das Stadtbild wird von Menschen geprägt und nicht von Kraftfahrzeugen.

Bild 2: Straße ohne Kfz-Stellplätze
Um keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen. In Kopenhagen gibt es natürlich Kfz und auch stark vom motorisierten Verkehr belastete Straßen. Aber an allen großen Straßen sind ausreichend breite und komfortable Radverkehrsanlagen vorhanden (s. Bild 1). An vielen Straßen dominiert aber ganz klar der Radverkehr. Nach meiner persönlichen Einschätzung sind in Kopenhagen deutlich weniger Kfz in der Stadt unterwegs, als in einer vergleichbaren deutschen Stadt.

Bild 3: Fahrradstellplätze in kleiner Straße
An vielen wichtigen Verbindungsstraßen gibt es über längere Strecken gar keine Parkplätze am Straßenrand, da der Platz für Radverkehrsanlagen benötigt wird. In kleineren Straßen sind große Bereiche für das Fahrradparken am Straßenrand reserviert (s. Bild 2). Die Radwege sind nicht zugeparkt und seltsamerweise habe ich in den 2,5 Tagen in Kopenhagen auch keinen Handwerker oder Paketboten mit seinem Lieferwagen “mal eben kurz” auf einer Radverkehrsanlage parken gesehen.

Bild 4: Kopenhagen Norrebrogade
Für den Radverkehr werden die unterschiedlichsten Fahrzeugtypen genutzt um den jeweiligen Mobilitätsanforderungen gerecht zu werden. Leute die eine längere Strecke zur Arbeit durch die Stadt zurücklegen – fahren mit Rennrädern, junge Leute sieht man auf Hollandrädern oder sehr minimalistischen Bahnrädern bzw. Fixies, der Pragmatiker fährt ein klassisches Trekking- bzw. Stadtrad. Auffällig sind die vielen Lastenräder, die zum Transport von Gütern aber auch von Menschen genutzt werden. Ich musste immer wieder schmunzeln, wenn eine erwachsene Person von einer anderen im Lastenrad durch die Stadt kutschiert wurde. Pedelecs und E-Bikes habe ich erstaunlicherweise so gut wie gar nicht gesehen. Dies, obwohl man in einer Stadt an der Küste auch häufig mit starkem Gegenwind rechnen muss und Elektroräder hier sicher eine Erleichterung wären.

Bild 5: wirklich alles wird mit dem Fahrrad transportiert
Im Unterschied zu deutschen Städten sieht man gar keine Leute mit Reflektorwesten, wenige Menschen mit Helm und so gut wie gar keine Räder mit Nabendynamos und heller LED-Beleuchtung bzw. Tagfahrlicht. Viele Räder sind – wenn überhaupt – nur mit einer sehr minimalistischen Beleuchtung ausgestattet. Häufig sieht man kleine vorne an der Gabel und hinten an der Kettenstrebe montierte LED-Blitzleuchten, welche durch einen an den Speichen montierten Signalgeber betrieben werden. Sobald der Signalgeber die an der Gabel bzw. Kettenstrebe montierte Leuchte passiert, blitzt diese kurz auf.
Um sich von der Masse abzuheben, werden viele Räder mit kleinen Details aufgehübscht (Blumengirlande am Lenker, farbige Anbauteile,…) oder besonders auffällige Fahrradtypen gewählt. Hier ist das Fahrrad das Mittel um seine eigene Persönlichkeit zu unterstreichen und nicht das “dicke Auto”. Einen schönen Eindruck hierzu vermittelt die Seite Copenhagen Cycle Chic.
Ein großer Unterschied zu deutschen Städten ist, dass alle Menschen aufeinander Rücksicht nehmen und Umsichtig fahren. Radfahrer kündigen einen beabsichtigten Halt mit einem seitlich angehobenen Arm an. Abbiegevorgänge werden selbstverständlich mit einem ausgestreckten Arm signalisiert. Bevor Fußgänger einen Radweg queren bleiben sie stehen und kontrollieren, ob kein Radfahrer angefahren kommt. Beim Rechtsabbiegen halten Autofahrer zumeist an und vergewissern sich immer mit einem Schulterblick ob sich Radfahrer nähern. Es wird selbstverständlich gewartet und knappe Abbiegevorgänge vor einem Radfahrer an der Kreuzung durch Kfz habe ich in den 2,5 Tagen in Kopenhagen nicht erlebt.

Bild6: Abbiegespur nur für Radfahrer
Für einen vom städtischen Verkehr in Deutschland geprägten Radfahrer war dies zunächst sehr gewöhnungsbedürftig. An jeder Kreuzung hat man wie gewohnt seine Geschwindigkeit ein wenig reduziert und sich bereit für eine Notbremsung gemacht. Die Radfahrer um einen herum sind aber völlig entspannt im normalen Tempo auf die Kreuzung zugefahren und haben diese ohne Konflikte passiert. Nach einiger Zeit hat man dann auch Vertrauen gefasst und ist umso entspannter durch die Stadt gefahren. Insgesamt scheint das Geschwindigkeitsniveau in der Stadt geringer als in einer deutschen Stadt zu sein. Viele Straßen sind mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 bzw. 40 km/h ausgeschildert. Selbst auf den mit 50 km/h ausgeschilderten Straßen hatte ich das Gefühl, dass die Kraftfahrzeuge eher langsamer fahren und nicht wie in Deutschland zumeist mit 55 bis 60 km/h.

Bild 7: Norrebrogade mit “conversation lanes”
Radfahrer sind in der Stadt mit einer Geschwindigkeit zwischen 15 und 20 km/h unterwegs. Aufgrund der großen Anzahl an Menschen auf dem Rad gleicht sich das Geschwindigkeitsniveau tendenziell eher an. Auf nahezu allen Radwegen kann problemlos überholt werden. Auf dem Foto seht ihr eine Fahrtrichtung der von Radfahrern vielbefahrenen Norrebrogade (> 10.000 Radfahrer pro Tag je Fahrtrichtung) mit Markierung von “conversation lanes”. Eine weiße Farbmarkierung trennt den Bereich für die langsameren, sich unterhaltenden und nebeneinander fahrenden Radfahrer von den schnelleren (s. Bild 7).
Ein weiterer positiver Eindruck ist, dass die Kopenhagener zumeist Radfahren können. Der “Torkelradler” der auf einem Radweg unsicher von links nach rechts herumeiert, war nicht anzutreffen. Auf den Radwegen fahren alle Radfahrer auf der rechten Seite und schnellere Fahrer können problemlos überholen. Die Radwege werden nicht nur von Radfahrern, sondern im geringen Maße auch von Skatern, Inlinern und Tretrollern genutzt. Aufgrund der Breite der Radwege ist dies problemlos möglich und führt nicht zu Konflikten.
In den folgenden Beiträgen werde ich die Radverkehrsinfrastruktur und aktuelle Projekte aus Kopenhagen im Detail vorstellen.
Ich war im Juni auch mit dem Rad in Kopenhagen unterwegs und teile die Eindrücke größtenteils. Eine kleine Ergänzung: es gibt ein sehr ausgeprägtes Bewusstsein für die unterschiedlichen Verkehrszonen, da wird dann auch schneller mal kommentiert, wenn man sich nicht ordnungsgemäß verhält. Ich bin zweimal (um etwas zu fotografieren) für ca. 10 Sekunden vom Fahrradweg zum Anhalten auf den Fußgängerweg gerollt, beide Male hat mich sofort jemand angesprochen. Nicht böse, aber auch nicht allzu freundlich. Genauso als Fußgänger, wenn man im Ausweichen kurz auf den Radweg tritt. Hier in Deutschland wünschte ich mir mehr diesen Bewusstseins, etwa von Fußgängern oder parkenden Autos auf Radwegen, aber so ganz gelassen habe ich die Kopenhagener diesbezüglich auch nicht erlebt.
So sehr Kopenhagen auch immer gelobt wird – und zwar zu recht – die angesprochenen Punkte kann ich nur für den innerstädtischen Bereich bestätigen. Kurz außerhalb von Kopenhagen sind zwar immer noch breite Radwege, aber man ist der einzige Radfahrer im Abstand von 200m. Und prompt wurde mir von einem Rechtsabbieger die Vorfahrt genommen.
Auch hier sieht man also die gleichen Konfliktherde und Gewohnheiten wie in Deutschland. In der Stadt funktioniert das Konzept daher vor allem wegen der vielen Radfahrer. Als einzelner Radfahrer hätte man in Kopenhagen genauso zu kämpfen wie hier.
So ist es: Radfahrangebote mit hoher Akzeptanz führen zu mehr Radverkehr, der führt zu Verhaltensänderungen im Miteinander, die führen zu mehr Sicherheit und angenehmem Verkehrsklima, die führen zu mehr Radverkehr usw.
Sorry, falsch geklickt: Der vorangegangene Beitrag sollte keine direkte Antwort auf Philipps Beitrag sein.
Ich habe mich in den letzten Wochen auch gefragt, ob es in den NL – wie https://bicycledutch.wordpress.com – immer betont – die Bauweise der Infrastruktur ansich ist, oder doch eher die Tatsachen, dass es a) konsequent so gehandhabt wird und b) das es einfach viele Radfahrer*innen sind.
Wir sind mit dem Rad von Berlin nach Kopenhagen gefahren. Die Unterschiede sind wirklich immens. Kopenhagen ist einfach ein Radfahrerparadies, aber auch in Dänemark eine Ausnahme. Auch wenn man für die Berlin-Kopenhagen Route pauschal sagen kann, dass Beschilderung und Radwege in Dänemark besser sind. Autofahrer und Radfahrer sind auch hier selten beste Freunde.
Was mir in Kopenhagen sehr gefallen hat, ist dass Radfahrer untereinander viel besser kommunizieren. Es wird angezeigt wenn jemand hält und nicht nur wenn man abbiegt. Dadurch ist das Konfliktpotential unter den Radfahrern um einiges geringer..
In keinem der euphorischen Berichte deutscher Radfahrer*innen über Kopenhagen wird thematisiert, dass diese dort Urlaub machen und nicht Alltag verbringen und das sie wohl immer im Sommer da sind und und nicht im Herbst oder Winter.
Du hast Recht ich war im Urlaub in Kopenhagen. Meine euphorische Stimmung zu den Radverkehrsbedingungen in Kopenhagen ist aber definitiv nicht nur dem Urlaubsgefühl geschuldet! Ich bin 2,5 Tage bei Sonnenschein kreuz und quer durch die Stadt gefahren (ca. 150 km) und hatte keinerlei Stress mit Autofahrern.
Die vielen Radfahrer in Kopenhagen sind auch nicht nur ein Sommerphänomen wie dieses Video: Winter in the Cycling City of Copenhagen und der Bericht bei copenhagenize belegen.
Wäre die Stimmung auch noch so euphorisch, wenn du x mal bei schlechtem Wetter morgens um 7 durch die Stadt müsste? Solche Erfahrungen hier vor Ort fließen ja auch mit in dein Bild von hier ein. wir wissen es nicht.
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