Stiftung Warentest: Fahrradhelm-Test August 2015

Lidl Crivit Fahrradhelm März 2015

Lidl Crivit Fahrradhelm März 2015

Die Stiftung Warentest (StiWa) behauptet auf dem Hefttitel: “Neue Tests belegen: Nur drei schützen gut.” Der heimliche Testsieger kostet dagegen keine 10 €.

Nur drei schützen gut?

Die Studie der Unfallforschung der Versicherer zur Schutzwirkung von Fahrradhelmen (2014) kommt zu dem Schluss: Bei über 80% der Fahrradunfälle wird der Kopf nicht verletzt. Die durch die Norm für Fahrradhelme geprüfte Aufprallgeschwindigkeit bildet im realen Unfallgeschehen “in erster Linie den Fahrradsturz” ab. Bei Unfällen mit Pkw-Beteiligung ist die Schutzwirkung sehr zweifelhaft.

Kein Fahrradhelm schützt also wirklich gut. Fahrradhelme könnten nur dann “gut” schützen, wenn sie den Radfahrer bei jedem Unfall einen guten Schutz bieten, ihn also zuverlässig mindestens vor bleibenden Schäden (und tödlichen Verletzungen) bewahren.

Die StiWa hat ihr Testverfahren gegenüber vorherigen Fahrradhelm-Tests geändert. Durch die höheren Anforderungen ergeben sich schlechtere Testnoten. Im vorhergehenden Test im Mai 2012 waren noch 9 von 15 getesteten Helme mit “gut” bewertet worden (weitere 5 mit “befriedigend”). Zu ähnlichen Ergebnissen kam der ADAC-Test 2015. Im August 2015 erhält der beste von 18 Fahrradhelmen von der StiWa im Prüfpunkt Unfallschutz die Note 2,5 (gerade eben noch “gut”, weitere 15 erhalten die Note “befriedigend” (2,6-3,5). Nur zwei sind schlechter (3,6 bzw. 3,8).

Studie: Untersuchungen zur Schutzwirkung des Fahrradhelms

Für ihr geändertes Testverfahren beruft sich die StiWa auf eine Studie der Unfallforschung der Versicherer aus dem Jahr 2014: “Untersuchungen zur Schutzwirkung des Fahrradhelms, Forschungsbericht Nr. 32 des Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V.”. Die Studie steht jedermann zum Download zur Verfügung.

Das wichtigste Ergebnis der Studie: “Der Bereich der Kopfanprallgeschwindigkeit um 5 m/s bildet im Realunfallgeschehen die Mehrheit der Unfälle ohne Fremdbeteiligung, in erster Linie also der Fahrradsturz, ab. Bei Unfällen mit Pkw-Beteiligung sind häufig deutlich höhere Kopfanprallgeschwindigkeiten zu beobachten.
Es sollte überlegt werden, eine zusätzliche Prüfgeschwindigkeit des Stoßdämpfungstests mit etwa 10 – 12 m/s (36 – 42 km/h) einzuführen.”

Mit anderen Worten: Die (in der Studie nachgewiesene) Schutzwirkung von Fahrradhelmen beschränkt sich auf Alleinunfälle von Radfahrern bei niedrigen Geschwindigkeiten. Die Fahrradhelm-Norm EN 1078 fordert eine Prüfung mit einer Fallgeschwindigkeit von 5,42 m/s (19,5 km/h). Mit dieser Geschwindigkeit hat die StiWa 2012 getestet. 2015 wurde zusätzlich mit mit 21,6 km/h getestet – daher die schlechteren Noten für die Schutzwirkung. Die amerikanische Snell-Norm B95 fordert eine Prüfung mit 23,7 km/h. In Europa werden keine Fahrradhelme angeboten, die die Snell-Anforderungen erfüllen. Motorradhelme werden mit 27 km/h geprüft.

Die UDV-Studie sagt also: Wenn Fahrradhelme zuverlässig bei einer Kollision zwischen Auto und Fahrrad schützen sollten, müssten die Prüfanforderungen an die Schutzwirkung wesentlich höher liegen als bei Motorradhelmen!

Mehr Schutz = Mehr Gewicht

Da alle Fahrradhelme das gleiche Material für die Energieaufnahme bei der Kollision verwenden, müssten solche Fahrradhelme wesentlich schwerer sein, als die heute üblichen. Schon Fahrradhelme, die die Snell B95 Anforderungen erfüllen, sind notwendigerweise schwerer. Die aufzunehmende Energie steigt mit dem Quadrat der Geschwindigkeit.

Schutz für Alleinunfälle

Wenn man die Erwartung an die Schutzwirkung aber auf den Schutz bei niedrigen Geschwindigkeiten reduziert, wie sie für Alleinunfälle typisch sind, dann kann jeder heute übliche Fahrradhelm Schutz bieten. Alleinunfälle wiederum sind typisch für Kinder, Senioren und Betrunkene. Die beiden letzten Gruppen können sich schon beim Umfallen aus dem Stand schwer verletzen.

Der heimliche Testsieger

Der heimliche Testsieger im Fahrradhelm-Test August 2015 der Stiftung Warentest kommt deshalb von Lidl: Der Lidl-Helm kostete im Laden 9,99 € (im Onlineshop mit Versandkosten 16 €, das ist der Preis, den die StiWa im Test angibt. Dafür erhält man den leichtesten Helm im Test mit gutem Komfort und guter Belüftung – und die Schutzwirkung ist auch nicht schlecht.

Bei der neu eingeführten “erweiterten Stoßprüfung” der StiWa hat übrigens auch kein anderer Helm besser abgeschnitten als der Lidl-Helm: die Bestnote war “befriedigend”.

P.S.: Es gibt einen “Fahrradhelm”, der auch die Norm für Motorradhelme (ECE 22-05) erfüllt: Cratoni Vigor, S-Pedelec-Helm, geprüft nach ECE 22/05. Gewicht ca. 700g, EVP 249,95 €. Der ideale Fahrradhelm?

 

Über Klaus Kuliga

Seit 33 Jahren Arbeit an demselben Projekt: Aus Bochum eine fahrradfreundliche Stadt machen. Eine fahrradfreundliche Stadt ist eine Einladung zum Rad fahren. Immer, überall, für jeden.
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13 Antworten zu Stiftung Warentest: Fahrradhelm-Test August 2015

  1. Markus MK sagt:

    Das Entscheidende bei diesen Assessoirs ist doch das Aussehen und der Tragekomfort, wenn die eigentlich notwendigen Anforderungen an die Sicherheit sowieso um weit mehr als das 100fache unterschritten werden.
    Nicht auszudenken, wenn beim behelmten Radfahren und der daraus resultierenden Überhitzung des Kopfes die Konzentration auf das Verkehrsgeschehen nachlässt…

  2. Norbert Paul sagt:

    Gibt es weitere S-Pedelec-Helme oder was tragen die (wenigen) S-Pedelec-Fahrer?

    • dazydee sagt:

      Auf meinem S-Pedelec trage ich genau gar nichts an Schutzkleidung. Bin allerdings recht moderater Fahrer mit Bosch-Hollandrad (eingetragene 250W und eine Höchstgeschwindigkeit von 16 Km/h ) und fahre meist 30-35 Km/h

      1. Mag ich keinen Helm auf dem Kopf haben. (Hier nehme ich für eine Annehmlichkeit bewußt Risiko und mögliche Haftung im Unfallfall in kauf)
      2. Nutzen die Radhelme noch weniger, als auf Fahrrädern.
      3. Schwitzt man sich unter Jet-Helmen schnell “tot”

      Das wird sich aber ändern, sollte es den Hövdings (Kopfairbag) irgendwann in meiner Kopfgröße geben.

    • Martin Isbruch sagt:

      Nach Aussage mehrerer befragter Händler bin ich mir mit dem “wenige” nicht mehr ganz so sicher. Denn zur Inspektion würden nahezu alle S-Pedelec-Fahrende ohne Nummernschild kommen – die Dinger fallen dann also auch gar nicht mehr unbedingt auf. Solche Monster-Helme habe ich auch bisher noch nicht in Aktion gesehen. Und die offizielle Marschroute der B’regierung ist doch: Es gibt keine expliziten S-Pedelec-Helme, also werden normale Fahrradhelme nicht beanstandet.

      • Norbert Paul sagt:

        Wenn die das für eine gute Idee halten … oder wissen sie es alle nicht?

      • Thorsten Boehm sagt:

        Auch von meinem Händler habe ich gehört, dass es S-Pedelec-Fahrer gibt, die ihr Gerät ohne Versicherungskennzeichen zur Inspektion und Reparatur abgeben. Zur konsequenten Abrundung des Erscheinungsbildes haben sie außerdem den Rückspiegel und die Seitenreflektoren an der Vorderradgabel entfernt. Naiverweise glauben sie, dass einem erfahrenen Mechaniker nicht auffällt, wenn er ein S-Pedelec unter den Fingern hat. Und ein Händler ist auch generell dazu verpflichtet, dem Kunden erkennbare Mängel am Fahrzeug mitzuteilen, auch wenn ihre Behebung nicht zum Auftrag gehörte.

        Diese S-Pedelec-Fahrer haben auch gar kein Kennzeichen, weil sie es nicht für nötig halten, eine Kfz-Haftpflicht-Versicherung abzuschließen. Das Theater fängt spätestens dann an, wenn sie in einen Unfall verwickelt sind, dem Sachverständigen oder sonstwem das Täuschungsmanöver auffällt und sie keine Haftpflicht-Versicherung für die von ihnen verursachten Schäden haben. Denn die Privat-Haftpflicht-Versicherung kommt dafür nicht auf.

        Spätestens dann, wenn es eine größere Auswahl an S-Pedelec-Helmen geben sollte, wird sich die derzeitige polizeiliche Toleranz vermutlich wandeln.

  3. Markus MK sagt:

    Die E-Power-Fahrer werden in einem Fahrradblog sicher ihre Anonymität bewahren ;-)

  4. Janina Scholz sagt:

    Hallo,

    ich würde gerne wissen, wie der heimliche Testsieger heißt. Hat er eine Typenbezeichnung? Und kann man ihn auch jetzt noch bei Lidl kaufen?

    Viele Grüße
    Janina

  5. Mula sagt:

    Ich selber trage einen Helm, aber NUR auf dem Rennrad, weil hier anderes Tempo herrscht und auf dem Rennrad denke ich auch eine indirekte Helmpflicht schon heute besteht.
    Auf den anderen Räder nicht.

    //Werbelink entfernt /np

  6. Theo sagt:

    Also ich sags mal so. Wenn man stürzt und einem dann ein Helm ( egal ob 9,99€ oder 249€ ) verletzungen am Kopf vorbeugt, dann ist es das definitiv wert. Denn für alle anderen Hirnlosen bringt ein Helm sowieso nix da ja kein Hirn vorhanden ist und ja die tolle frisur kaputtgehen könnte. Naja, muss keder selber wissen was einem seine gesundheit wert ist

  7. Mahir sagt:

    Habe einen von POC…Bin grundsätzlich zufrieden aber ich würde es nicht wieder kaufen. Sind zu viele Kleinigkeiten die mich stören. Btw, die schraube die das Visier verstellt/fest macht lockert sich mit der Zeit und geht gerne verloren. Entweder Loctite oder prophylaktisch ein paar davon bestellen…

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