Verkehrswende Teil 4 – Vision Zero

Ride of Silence Köln 2014 Geisterrad. Foto: Axel Fell

In Deutschland sterben jedes Jahr unnötig viele Menschen im Straßenverkehr. Die Zahl der Verkehrstoten ist in den letzten Jahrzehnten zwar von einem Höchststand im Jahr 1970 mit 21.332 Menschen auf den niedrigsten Stand im Jahr 2013 auf 3.339 gesunken. Dieser an sich positive Trend könnte aber noch viel größer sein, wenn die Bundes- und Lokalpolitik endlich Maßnahmen ergreifen würde, welche die Sicherheit umfassend für alle Verkehrsteilnehmer verbessern würde.

In den letzten Jahren hat man sich primär auf den technischen Fortschritt bei der Sicherheitstechnik in Kraftfahrzeugen verlassen. Dabei hat man leider die Verbesserung der Verkehrssicherheit von Fußgängern und Radfahrern aus dem Blick verloren. Dementsprechend sinken bei diesen Verkehrsteilnehmern die Unfallzahlen in den letzten 5 Jahren nicht mehr bzw. steigen bei Radfahrern sogar an! Die Wirkung der Sicherheitstechnik in Kraftfahrzeugen scheint für deren Nutzer ebenfalls nachzulassen, da die Verkehrstoten hier zuletzt stagnieren bzw. ebenfalls leicht ansteigen. Von daher sind neue Konzepte notwendig um die Sicherheit im Straßenverkehr für alle zu verbessern. In einer zivilisierten und im Frieden lebenden Gesellschaft sind solche Todesraten für eine unnatürliche Todesursache absolut inakzeptabel.

Die Bundesregierung hat sich vor einigen Jahren das Ziel gesetzt, die Zahl der Verkehrstoten von 2011 bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren. Die würde bedeuten, dass im Jahr 2020 “nur” noch 2.405 Menschen in Deutschland ihr Leben im Straßenverkehr verlieren dürften. Davon sind wir aktuell noch meilenweit entfernt. Im Jahr 2014 starben in Deutschland immer noch 3.377 Menschen im Straßenverkehr (2011: 4009).

In anderen europäischen Ländern werden deutlich größere Anstrengungen unternommen um die Anzahl der Verletzten, Schwerverletzten und Verkehrstoten zu reduzieren. Als gutes Beispiel kann hier Schweden genannt werden. Hier wird seit 1997 die Vision Zero praktiziert. Die Politik hat beschlossen, dass zukünftig keine Menschen mehr im Straßenverkehr ihr Leben verlieren sollen. Durch ein Bündel an Maßnahmen haben die Schweden es geschafft sich dem Ziel zu nähern – aber auch in Schweden hat man das Ziel noch nicht erreicht.

Pro hunderttausend Einwohnern sterben in Deutschland im Jahr 4,7 Menschen. Beim Spitzenreiter Schweden sind es „nur“ 3 Menschen. Wären solche Todesraten bereits heute in Deutschland Realität, dann würden „nur“ noch 2.400 Menschen pro Jahr ihr Leben im Straßenverkehr verlieren. Die Folge wären viel weniger Verletzte, Schwerverletzte und fast 1.000 gerettete Menschenleben.

Folgende Maßnahmen sind in Schweden zur Umsetzung der Vision Zero realisiert worden:

  • Tempolimit: 40 (30) km/h in Städten, 80 km/h auf Landstraßen, 120 (110) km/h auf Autobahnen
  • intensive Geschwindigkeitsüberwachung und hohe Bußgelder
  • Unfallanalyse bei jedem tödlichen Unfall
  • sicherheitsförderndes Straßendesign
  • 0,2 Promillegrenze
  • häufige Alkoholtest (1,5 Millionen pro Jahr) durch die Polizei und “Alcolocks” in 90.000 Lastkraftwagen, Bussen und Taxis (Zündungsunterbrechung bei Alkoholmissbrauch)

Zu einer Verkehrswende gehört daher auch eine Strategie zur Verbesserung der Verkehrssicherheit für alle Verkehrsteilnehmer. Kein Mensch möchte einen nahestehenden Freund oder Angehörigen im Straßenverkehr verlieren. Tag täglich kann es jeden von uns treffen, wie dieser sehr persönliche Artikel in der FAZ zeigt. Darum sollten wir alle bereit sein, Maßnahmen – wie z.B. ein geringeres Geschwindigkeitsniveau – für mehr Sicherheit auf unseren Straßen zu akzeptieren.

Da alle Deutschen meinen, sie sind perfekte Autofahrer und können Geschwindigkeiten und deren Folgen gut einschätzen, kommt am Ende des Artikels noch eine kleine aus einem Interview mit dem Verkehrspsychologe Jörg-Michael Sohn (SZ-Magazin) zum theoretischen Zeitgewinn bei Geschwindigkeitsübertretungen.

Frage:
Sie fahren auf einer fünf Kilometer langen Autobahnbaustelle hundert statt der erlaubten achtzig Stundenkilometer. Wie viel Zeit sparen Sie?

Antwort:
Sie sparen 45 Sekunden. Pro Kilometer also neun Sekunden. Da Sie insgesamt nur drei Minuten brauchen, um die Strecke zu durchfahren, würden Sie selbst mit Lichtgeschwindigkeit nicht mehr als diese drei Minuten sparen. Ich lasse meine Klienten oft schätzen, wie viel Zeit sie der Führerscheinverlust gekostet hat. Das sind bei den meisten mindestens hundert Arbeitsstunden. Sie müssten also 42 000 Kilometer lang zwanzig Kilometer pro Stunde zu schnell fahren, um die Zeit herauszuholen, die sie der Führerscheinverlust gekostet hat. Aber selbst Leute, die im Beruf als Controller mit solchen Rechnungen umgehen, machen das im Auto nicht. Beim Autofahren hört der Verstand auf.

Über Norbert Rath

Das Fahrrad ist meine Leidenschaft! Egal ob im Alltag oder in der Freizeit mit dem Rennrad, Mountainbike und Reiserad - auf zwei Rädern macht es einfach mehr Spaß sich zu bewegen. Seit mehreren Jahren engagiere ich mich im ADFC Aachen um die Bedingungen für den Radverkehr in der Region zu verbessern.
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2 Antworten zu Verkehrswende Teil 4 – Vision Zero

  1. ElGato sagt:

    Jeder Weiß, daß der Zeitgewinn minimal ist, aber psychologisch hat man ja doch das Gefühl, es zumindest zu versuchen (z. B. den Termin noch zu schaffen). Da ist mit Logik und rationalem Argumentieren nichts zu machen.

  2. Alfons Krückmann sagt:

    Die genannte Zahl der Verkehrstoten stimmt nicht.

    Gemeint ist im Artikel lediglich die recht kleine Zahl von Verkehrs-UNFALL-Toten.
    Die Zahl der Verkehrstoten ist ganz erheblich höher. Schätzungen (ohne Unfalltote) für D schwanken zwischen 7.000 (MPG-Mainz) und ca. 30.000 (WHO-Daten und Einbezug der Lärmtoten nebst Lärm/Abgas Kumulationseffekten).
    Die MPG-Chemie-Mainz hat allerdings nur die Abgase von Kfz berücksichtgt, die Krankheitsbilder eingeschränkt und zudem eine Halbierung der WHO-Luftverschmutzungstoten in den Grundannahmen vollzogen.

    Gerade in stark von Autoabgasen vergifteten Städten wie Stuttgart oder Münster dürfte die Quote der MIV-Toten zudem deutlich oberhalb der Durchschnittsschätzwerte liegen.

    Kurzum: Vision Zero ist meines Erachtens nur relevant und glaubwürdig, wenn endlich nicht nur die sehr kleine Gruppe der Verkehrsunfalltoten berücksichtigt wird, sondern die Gesamtzahl der durch MIV Getöteten.

    Als MIV-verursacht (eindeutige Korrelation, und zum Teil Kausalität) sind mittlerweile mindestens die folgenden Krankheiten bekannt (unvollständig):
    Asthma, Brochitis, Lungenkrebs, Gallenkrebs, Herzinfarkt, Schlaganfall, Arteriosklerose, Diabetes, Demenz, Immunstörungen (wie: Heuschnupfen, Neurodermitis, Ekzem, …) Störungen der Proteinzusammensetzung in der Hirnmasse, Hirnschrumpfung, diverse Entwicklungsstörungen bei Kindern, …
    Die Liste wird sich vermutlich noch verlängern, falls die Auswirkungen der Ultra-Feinstäube mal systematischer untersucht werden würden, und die Wechselwirkungen mit MIV-Lärm berücksichtigt würden.
    Da scheint es aber wohl sehr schwierig zu sein Drittmittel aufzutreiben.
    Auch die Relevanz der erheblich größeren Zahl der von nicht-tödlichen MIV-induzierten chronischen Krankeiten Betroffenen wäre zu diskutieren.

    NGleichwohl ist es m.E. zunächst immer richtig auch die Zahl der Unfalltoten möglichst zu minimieren; die Frage ist aber doch mit welchen Nebeneffekten dies vollzogen wird. Geht die Senkung der Verkehrsunfalltoten zu Lasten der Verkehrsmittel des Umweltverbundes (etwa durch Verlängerung der Reisezeiten des Radverkehrs, oder durch Optimierung der MIV-Reisezeiten), dann werden u.U. die eingesparten Unfalltoten durch eine Erhöhung der Abgas- und Lärmtoten infolge gestiegener MIV-Kilometerleistung überkompensiert.
    Ziel sollte also sein die Zahl der tatsächlichen Verkehrstoten zu reduzieren, wobei die Verkehrsunfalltoten nur eine vergleichsweise kleine Teilgruppe darstellen, auch wenn die Totesfälle medial spektakulärer sind als ein stilles Sterben aufgrund der oben genannten Krankheitsbilder.

    Die Fokussierung auf die Unfalltoten hat aber einen weiteren Hintergrund:
    INNERHALB der Automobilen Mobilitätskultur ist zwar eine Unfalltoten-Reduzierung (vision-zero) möglich, eine Reduzierung der tatsächlichen Verkehrstoten geht nur AUSSERHALB der Automobil-zentrierten Verkehrskultur.

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