Stellungnahme zur Pressemitteilung der Stadt Köln „Bei blauem Radweg-Schild hat der Radfahrer keine Wahl“
Verwaltung ist seit 3. Oktober 1998 in Verzug

Kölner Radweg mit Laub und versteckten Schlaglöchern (Foto: radfahren-in-koeln.de)
Die Stadtverwaltung hatte bis zum 3. Oktober 1998 Zeit, die zum 1. September 1997 in Kraft getretene Novelle der Straßenverkehrsordnung umzusetzen. Sie ist seitdem mit der Einzelfallprüfung in Verzug und wurde von der Politik dazu aufgefordert, endlich die seit 17 Jahren liegengebliebenen Aufgaben zu erledigen.
Die Stadt Köln stellt heute richtigerweise fest, dass der politische Beschluss, die überfällige Überprüfung der Radwegbenutzungspflicht die Gültigkeit der Radwegschilder nicht aufhebt, auch wenn sie in Köln durchgehend nicht der Straßenverkehrsordnung entsprechen. In der Pressemeldung der Stadtverwaltung sind einige Punkte enthalten, zu denen wir als Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Stellung nehmen wollen.
Der Radfahrer hat die Wahl
Die Überschrift der Pressemitteilung „Bei blauem Radweg-Schild hat der Radfahrer keine Wahl“ suggeriert, dass die blauen Radwegschilder immer und überall gelten. Das ist grundsätzlich richtig, allerdings nur insoweit, wie ein Radweg auch benutzbar ist.
Große Mengen an rutschigem Laub sind jetzt im Herbst beispielsweise ein erhebliches Gefahrenpotential, welches die Benutzungspflicht im Einzelfall aufhebt. Ebenso ist die Nutzung eines mit Scherben übersäten Radwegs selbstverständlich nicht zumutbar. Dies ist an vielen Stellen ganzjährig, insbesondere aber in der Karnevalssaison leider oft wochenlang der Fall. Die Stadt Köln und die von ihr beauftragte AWB kommen in beiden Fällen ihrer Räumpflicht leider nicht nach. Im Winter wird gar der Schnee auf die Radwege geschoben. Außerdem sind die schmalen Radwege oftmals weder mit einem Lastenrad noch mit einem Kinderanhänger befahrbar.
Die Stadtverwaltung ist dazu aufgefordert, zunächst die Benutzbarkeit des Kölner Radwegenetzes sicherzustellen, bevor sie auf die Einhaltung der Benutzungspflichten pocht.
Zwei Kriterien: Gefahrenlage und Baurichtlinien

Kölner Radweg mit Schäden (Foto: Carolin Ohlwein)
Für die Einrichtung eines benutzungspflichtigen Radwegs gibt es zwei Kriterien. Zum einen muss eine besondere Gefahrenlage nachgewiesen werden. Die Verwaltung vergisst aber gern, dass ein benutzungspflichtiger Radweg aber auch den Baurichtlinien „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“ (ERA-2010) entsprechen muss.
Nach Auskunft des Fahrradbeauftragten der Stadt Köln auf einer Bürgerversammlung zum Radverkehrskonzept Innenstadt entspricht leider kein Kölner Radweg den Baurichtlinien. Der häufigste Grund ist hier die Unterschreitung der Mindestbreite um bis zu 60%. Auf Nachfrage konnte die Stadt nur ein Radwegteilstück an der Aachener Straße als ERA-konform vermelden.
Die Benutzungspflicht der Kölner Radwege ist demnach sofort aufzuheben.
Ampeln können einfach umgestellt werden
Nach der Pressemeldung der Stadt Köln stehen einer Aufhebung der Radwegbenutzungspflicht noch weitere Kriterien bis auf weiteres entgegen.
Die Räumzeiten der Ampelanlagen sind nach unserer Ansicht bereits heute in Ordnung, allerdings ist eine Anpassung auch einfach möglich. Nach Aussage eines Ampelexperten des Amts für Straßen- und Verkehrstechnik auf einer Veranstaltung in der letzten Woche ist eine Umstellung einer Lichtsignalanlage nur ein Aufwand von wenigen Stunden. Dies muss also lediglich seit 17 Jahren umgesetzt werden.
Die von der Stadt Köln genannten Auswirkungen auf den Verkehrsfluss stehen nach StVO der Aufhebung der Benutzungsplicht nicht entgegen, sondern sind eine Folge einer über viele Jahrzehnte einseitig auf das Automobil ausgerichteten Verkehrspolitik.
In der Diskussion zur Aufhebung der Benutzungspflicht auf Radwegen werden von den Straßenbauverwaltungen immer wieder die nicht ausreichenden Räumzeiten der Ampeln für Radfahrer ins Spiel gebracht.
Hier mal eine Frage an die Experten:
– Landwirtschaftliche Maschinen haben häufig eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h
– Baumaschinen haben eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h
– Mofas haben eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h
Wie werden diese Fahrzeuge, welche bereits seit vielen Jahrzehnten städtische Straßen nutzen, bei den Räumzeiten berücksichtigt? Ich vermute gar nicht!
Ich sehe hier auch keinen Unterschied zu zweirädrigen muskelbetriebenen Fahrzeugen (Fahrradfahrern):
– Pedelecs haben eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h
– viele Radfahrer fahren in der Ebene 20 bis 25 km/h
Gilt nicht vielmehr auch bei Ampeln – die auf Grün springen – § 1 Absatz 2 der StVO:
Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.
sowie auch § 3 Absatz 1 der StVO:
Wer ein Fahrzeug führt, darf nur so schnell fahren, dass das Fahrzeug ständig beherrscht wird. Die Geschwindigkeit ist insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie den persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen. (Sichtfahrgebot)?
Ich darf demnach bei Grün erst losfahren, wenn die Fahrbahn frei ist und dabei keiner gefährdet wird. Es spricht demnach nichts dagegen die Radwegebenutzungspflicht sofort aufzuheben.
Vielen Dank für diesen klaren Kommentar!
Ein paar kleine Anmerkungen als Ergänzung habe ich noch:
Die Stadt scheint wie die meisten Verwaltungen nicht verstanden zu haben, was der Passus zur Gefährdung im §45(9) StVO wirklich bedeutet. Dort steht wörtlich “…dürfen insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht…”.
Das heisst in Praxis aber auch, dass es sozusagen “normale” Gefährdungen geben kann, die *keine* RWBP rechtfertigen. Es muss eine ganz besondere, nur an *dieser speziellen Strasse* vorhandene Gefahrenlage existieren, die darüber *hinaus* geht, was an einer bauliche ähnlichen und vergleichbar stark befahrenen Strasse normal ist. Würden alle Verwaltungen wirklich streng nach diesem Grundsatz vorgehen, gäbe es keinen einzigen (durchgehenden) benutzungspflichtigen Radweg in Deutschland, sondern allenfalls kurze Stücke, die benutzungspflichtig beschildert wären.
Diese Erkenntnis muss sich mMn noch durchsetzen. Man darf Radwege bauen, aber für die Benutzungspflicht gibt es *kein* echtes Argument, ausser dem freien Fluss der Kfz.
In Berlin wurden deshalb auch schon Strassen mit über 40.000 Kfz/Tag von der Benutzungspflicht befreit. Jede Benutzungspflicht ist illegal!
Ich habe auch noch paar Ergänzungen.
Vor der STVO Novelle von 1997 galt ja eine allgemeine Radwegbenutzungspflicht. Damit war es nicht notwendig baulich angelegte Radwege zu beschildern und ich vermute mal, das bei einem großen Teil der mit z.237 oder Z.241 beschilderten fahrbahnbegleitenden Wege das Schild nach 1997 ohne jede rechtliche Grundlage neu aufgestellt wurde. Weil nicht auf besondere Gefahrenlage geprüft wurde sondern nur die bisher bestehende Benutzungspflicht weiter bestehen sollte.
Ein weiterer Fall, wo schon heute trotz Beschilderung keine Benutzungspflicht besteht, ist wenn der Weg nicht fahrbahnbegleitend ist. Da die Bestimmungen dafür sehr schwammig sind, sollte es dafür auch klarere Regeln geben.
Sobald andere Gruppen von Verkehrsteilnehmern, die die gleiche Straße benutzen, gleiches oder höheres Unfallrisiko wie Radfahrer haben besteht auch keine besondere Gefahrenlage für Radfahrer, die eine Benutzungspflicht rechtfertigt sondern das ist dann “normale Gefahrenlage”. Z.B. haben Motorrad ausserorts ein besonders hohes Unfallrisiko und erst wenn Radfahrer nachweislich ein noch höheres Risiko haben, als die Motorradfahrer dort oder die Fahrbahn dann auch für Motorradfahrer gesperrt wird, darf meiner Meinung nach Benutzungspflicht angeordnet werden.
Nur weil bei den Motorrädern eine besondere Gefahrenlage keine Folgen hat, ergibt sich noch kein Verbot, auf die Gefahrenlage bei Radfahrern zu reagieren.
Die überdurchschnittliche Gefahrenlage muss sich aus den “besonderen örtlichen Verhältnissen” an der fraglichen Stelle ergeben, also nicht aus riskantem Verhalten bestimmter Gruppen oder generell der außerörtlichen Lage.
Zumindest in der selbsternannten “Fahrradhauptstadt” hat sich die Verwaltung bereits 1998 darüber beschwert, dass sie jetzt so viel Geld für Blauschilder ausgeben müsse:
http://www.muenster.de/stadt/presseservice/custom/news/show/9435/view:example/layout:default
Geprüft wurde nicht, man sah die Beschilderung als “teure Formsache” an. In Köln wird es nicht viel anders gewesen sein.
Der Satz “
ist eine Schutzbehauptung, mit der man 17 Jahre unterlassen auf 5 reduzieren möchte.
Auch wenn ich nicht auf jeden einzelnen Kommentar hier reagiert habe: Ich finde sie alle großartig! Wir werden das eine oder andere Argument ganz sicher noch nutzen.
Und ich bin nicht “Christoph S”. ;-)