BMVI verlangt Rückbau vom “Soester Modell”

Die Altstadt im westfälischen Soest besteht zu großen Teilen aus sehr engen Straßen. Nachdem ein Radfahrer dort durch eine rücksichtslos geöffnete PKW-Tür schwer verletzt wurde, hat man in der Soester Jacobistraße einen Radschutzstreifen in der Mitte der Fahrbahn angelegt.

So wird dem Radfahrer angezeigt, außerhalb der sogenannten “Dooring-Zone” zu fahren, wie es wohl alle Verkehrssicherheitsexperten einhellig empfehlen. Während die bundesweit üblichen Schutzstreifen, den Radfahrer zu einem extremen Rechtsfahren zwingen, zeigt das “Soester Modell” den gebotenen und von Gerichten immer wieder bestätigten Sicherheitsabstands zu den parkenden Autos unter Einhaltung des Rechtsfahrgebots an. Da ein Überholen mit anderthalb Meter Abstand dem PKW-Verkehr in den schmalen Straßen nicht möglich ist, werden Autos durch diese mit dem Deutschen Fahrradpreis ausgezeichnete Lösung nicht behindert.


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Das Bundesverkehrsministerium sieht das allerdings anders und verlangt den sofortigen Rückbau des Schutzstreifens, weil eine sichere, mittige Anlage in der StVO nicht vorgesehen sei. Man will so Autofahrern ein Überholen quasi ohne Abstand ermöglichen. Die Gefährdung von Radfahrern nimmt das Bundesverkehrsministerium dabei in Kauf und stimmt nicht mal einer Umsetzung im Rahmen eines Verkehrsversuches zu.

Wir Kölner würden den Verantwortlichen der Stadt Soest empfehlen, einfach die rechte Markierungslinie des Schutzstreifens zu entfernen und die gesamte Breite von der linken Markierung bis zum rechten Fahrbahnrand als – zulässigen – breiten Radschutzstreifen zu erklären. Das “Soester Modell” war für uns bislang immer – im positiven Sinne – ein mahnendes Beispiel, wie man es viel besser machen kann als bei uns in Köln.

Text: Christoph Schmidt, unter Mitarbeit von Alex Bühler

Über Christoph Schmidt

Ich bin seit 2010 mit dem Softwareunternehmen messageconcept in Köln selbständig. Als leidenschaftlicher Radfahrer und Bahnfan setze ich mich seit Jahren für ein lebenswertes Köln mit einer nachhaltigen Mobilität ein. Seit 2013 engagiere ich mich ehrenamtlich im Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club und bin seit 2018 Vorsitzender des ADFC in Köln. Neben anderen Gremien bin ich seit 2021 Mitglied des ADFC-Bundesvorstands.
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15 Antworten zu BMVI verlangt Rückbau vom “Soester Modell”

  1. Jakob sagt:

    In den ERA (Empfehlungen für Radverkehrsanlagen) ist explizit ein Sicherheitsstreifen von 0.5m zwischen Schutztstreifen und Parkstreifen vorgesehen. Zusätzlich kann man den Parkstreifen etwas breiter als üblich machen (passend für LKW, also 2.5m statt 2m wenn der Platz dafür reicht). Wenn man das umsetzt und dann den Schutzstreifen relativ breit anlegt (z.B. 2m), dann ist es nicht so weit von der aktuellen Lösung entfernt und es kann nach wie vor nicht knapp überholt werden.

    • Es geht hier vielmehr um das Dooring. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass Radfahrende einen Abstand von einem Meter zu längs parkenden Autos halten sollen, um nicht mithaften zu müssen. Einzelne Urteile liegen etwas drüber oder drunter. Ein enger machen der Straße hilft da nicht.

  2. Frank ter Veld sagt:

    Ist der Schutzstreifen tatsächlich in der Mitte der Fahrbahn? Eher hat man sich hier korrekterweise für einen 1,0 m Sicherheitstrennstreifen entschieden.
    Die Diskussion zu diesen Streifen sollte auf eine höhere Ebene geführt werden. Es hat eigentlich wenig mit dem Schutzstreifen zu tun. Der Streifen ist in dieser Straße schlichtweg nicht zulässig (egal ob mit/ohne Trennstreifen). Laut § 45 Absatz 1c Satz 3 StVO muss der Streifen weg.
    Die eigentliche Diskussion sollte sich mit dem Regelverhalten der Kfz-Fahrenden befassen. Also konkret die Tatsache, dass in Tempo-30 Zonen i.d.R. erheblich schneller als 30 km/h gefahren wird. In Tempo-30 Zonen sollten z.B. auch keine Zebrastreifen angelegt werden, macht man aber trotzdem.
    Entfernt das BMVI den Schutzstreifen, dann ist sie ab sofort in der Pflicht zu gewährleisten, dass in dieser Straße max. 30 km/h gefahren werden kann.

    • Das Problem in dieser Straße ist das Dooring. Den ruhenden Verkehr kannst Du nicht langsamer machen. Radfahrende sollten, auch um eine Mithaftung im Falle eines Unfalls auszuschließen, einen Meter Abstand zu den längs parkenden Fahrzeugen halten. Dies sollte die Markierung verdeutlichen.

      • Frank ter Veld sagt:

        Sehe ich etwas differenzierter.
        Die Fahrbahn ist dort zirka 4,5 m. Moderne PKW sind bis zu 2,2 m. Bei 30 km/h können Radfahrenden zwar etwas “enger” überholt werden aber 1,0 m wäre schon das Minimum. Das ergibt also 2,2 m PKW + 1,0 m Seitenabstand + 1,0 m Radfahrende = 4,2 m. Ergibt einen “Sicherheitsabstand” von Radfahrenden zu parkenden Kfz von 30 cm. De-facto: NULL.

        Die Tatsache, dass (vermutlich) auch in der Jacobistrasse mit überhöhter oder unangepasster Geschwindigkeit gefahren wird, führt zu ein verschlechtertes Regelverhalten der Kfz-Fahrenden. Unterbindet man die Fahrgeschwindigkeit der Kfz, so werden die Radfahrenden sich besser StVO-konform auf der Fahrbahn positionieren.

    • Zwei-Ventiler sagt:

      Frank ter Veld sagt: „Eher hat man sich hier korrekterweise für einen 1,0 m Sicherheitstrennstreifen entschieden. […] Der Streifen ist in dieser Straße schlichtweg nicht zulässig (egal ob mit/ohne Trennstreifen). Laut § 45 Absatz 1c Satz 3 StVO muss der Streifen weg.“

      § 45 Absatz 1c Satz 3 StVO regelt die Voraussetzungen, unter denen Behörden Tempo-30-ZONEN anordnen dürfen und nicht die Voraussetzungen, unter denen sie Schutzstreifen anordnen dürfen. Schon rein systematisch: Weshalb soll hier § 45 Absatz 1c Satz 3 StVO einem Schutzstreifen entgegenstehen? Das Bundesverkehrsministerium sieht hingegen einen Konflikt mit dem allgemeinen Rechtsfahrgebot.

      Und ja: Es handelt sich hier nach dem Willen der anordnenden Behörde um einen Schutzstreifen. Und keinesfalls um eine Leitlinie (etwa um einen 1,0 m Sicherheitstrennstreifen neben den Parkständen anzudeuten) und eine weitere solitäre Leitlinie (wofür?) mitten auf der Fahrbahn. Sicherheitstrennstreifen werden zwischen Parkständen und Schutzstreifen/Radfahrstreifen angeordnet, jedoch nicht dort, wo es gar keine Radverkehrsanlage gibt. In Soest ist der Schutzstreifen auch als solcher StVO-konform durch Fahrrad-Piktogramme mit Richtungspfeilen (zwischen den Leitlinien) gekennzeichnet.

      Dort, wo rechts geparkt wird, fahren Radfahrer legal mitten auf der Fahrbahn, denn das allgemeine Rechtsfahrgebot beinhaltet weder die Pflicht zur Selbstgefährdung (wegen fehlenden Sicherheitsabstandes zu parkenden Kfz) noch das Gebot, sich wegen schuldhaften Verhaltens schadensersatzpflichtig (dito) zu machen. Anders wäre es dort, wo es gar keine Parkstände gibt. Dort müsste man den anderen Gefahrenauslöser, der nichts mit Parkern zu tun hat (zu enges Überholen durch Kfz auch auf andere Weise unterbinden.

  3. Alfons Krückmann sagt:

    Das Soester Modell hat ein ganz grundlegendes Problem. Es kann bei dieser Lösung nicht ausgeschlossen werden, dass der Kraftverkehr behindert wird. Im Gegenteil, es ist sogar wahrscheinlich, dass da der MIV an Flüssigkeit verliert.

    Damit sind solche und ähnliche Lösungen natürlich aus dem Rennen.

    Besser schneiden da ‘Protected bikelanes’ ab. Hier ist immerhin nachgewiesen, dass der Autoverkehr nach der Installation von ‘protected bikelanes’ selbst bei Redkution der Autospuren eine verbesserte Reisezeit hat.
    Das hat Zukunft, schliesslich hängen viele Arbeitsplätze direkt oder indirekt von der Automobilindustrie ab.
    In den USA werden solche ‘protected bikelanes’ seit Jahren mit zunehmendem Erfolg angewendet.
    Resultat: mehr Radfahrer dort wo diese Wege sind, und eine Steigerung des Autoverkehrs in den USA um immerhin beachtliche 3.5% allein in 2015.

    Das hat Zukunft.

    • Norbert Rath sagt:

      Gibt es ein Grundrecht auf flüssigen Kraftfahrzeugverkehr? Ich kann diesen Passus in der StVO nicht finden. Vielleicht können Sie mir helfen.

      Vielmehr steht in der StVO und der dazugehörigen Verwaltungsvorschrift, dass Sicherheit vor Leistungsfähigkeit geht. Demnach muss der Radverkehr vor dem Kraftfahrzeugverkehr – egal ob parkend oder fahrend – in irgendeiner Form geschützt werden. Das Soester Modell hat dies vorbildlich umgesetzt. Das Bundesautoministerium hat dies leider nicht erkannt.

    • Situation a) Schutzstreifen nach Soester Modell: MIV KANN nicht überholen.

      Situation b) Schutzstreifen am rechten Rand: MIV DARF nicht überholen, weil der Platz zu schmal ist, um mit genug Abstand zu überholen. Er versucht es unter Gefährdung des Radfahrers dennoch.

      –> Unter Einhaltung geltender Gesetztgebung und Rechtsprechung bleibt der MIV in beiden Fällen hinter dem Fahrrad. Kein Unterschied im Ergebnis.

      Ich bin auch ein Fan von geschützten Fahrradspuren, aber ich sehe den Platz dafür in der konkreten Soester Straße nicht.

      • Norbert Paul sagt:

        Das ist Autofahrersicht. Es ist kein Platz für einen Raum, in dem die Autos sich bewegen können ohne andere zu gefährden. Da man diesen gefährlichen Schrott-Elktromüll-in-spe-Konglomeraten den Platz hier nicht bieten kann, kann man sie hier nicht nutzen. Radverkehr ist nicht gefährlich und muss nicht in Sonderzonen abgedrängt werden.

        • Nöö, ich orientiere mich für gewöhnlich am politisch Durchsetzbaren. Glaubst Du, dass es eine politische Mehrheit für eine autofreie Innenstadt in Soest?

          • Norbert Paul sagt:

            Die Städte, die durch die Blogs etc. gereicht werden, werden da gehypt, weil irgendwer angefangen hat, nicht mehr den Autoverkehr in der jetzigen Form als gegeben anzusehen. Mit dem Ansatz, nichts fordern, was nicht bei unveränderten Zuständen durchsetzbar ist, hat bisher nirgends zu Erfolgen geführt. Außerdem ist es doch falsch, zu glauben Politik wäre statisch. Immer irrerer Parteien zerlegen sich immer schneller und verändert dabei doch die Politik. Angela Merkel hat den Atomausstieg rückgängig gemacht. Hat ein halbes Jahr vorher auch keiner geglaubt.

    • Norbert Paul sagt:

      Beim RS 1 sollen ja auch 50.000 PKW in Luft aufgelöst werden (zumindest sind sie nicht mehr auf der Straße). Naja, solange auf der A40 nichts zurück gebaut wird, ist es gewiss, dass in der Summe mehr Verkehr entsteht.

  4. Was mich wundert:
    Kommt den niemand auf die Idee, dass im gegebenen Fall eine Öffnung der Einbahn in Gegenrichtung für den Radverkehr sinnvoll wäre?
    Selbst im Radinfrastruktur schwächelnden Wien, sind viele Einbahnen (bei 4,50m Fahrbahn) für den Rad-Gegenverkehr geöffnet!
    Von Holland will ich da gar nicht reden:
    https://honzosblog.wordpress.com/2015/06/16/alltagsradeln-in-amsterdam/

    • Karsten Obrikat sagt:

      Der Fall ist hier nicht gegeben, weil die Fahrbahn viel zu eng dazu ist. Selbst zum Überholen von Radfahrern ist ja kein Platz. In Soest sind meinen Beobachtungen zur Folge viele Einbahnstraßen für Radfahrer in Gegenrichtung freigegeben. Das Instrument wird – wo möglich – gerne angewand.

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