Unfallzahlen in Köln und die Rolle der Behörden

Die Zahl der Unfälle mit Radfahrenden in Köln ist hoch. Doch die Behörden nehmen ihre Aufgaben im Rahmen der Vision Zero nicht wahr.

Immer wieder ist die Polizei Köln mit  Großaktionstagen zum Thema Fahrrad unterwegs. Anlass sind die weiter hohen Unfallzahlen mit Radfahrenden in Köln. Auch wenn man anerkennen muss, dass sich die Schwerpunkte dieser Aktionstage mittlerweile durchaus verändern – so werden anders als früher auch motorisierte Verkehrsteilnehmer kontrolliert – ist der Umgang mit den Zahlen weiter zu kritisieren. “Kraftfahrer und Radfahrer sind zu gleichen Anteilen als Verursacher der Unfälle erfasst.” sagt die Polizei in Ihrer Pressearbeit.

Viele Medien übernehmen diese Zahlen, ohne sie zu hinterfragen. Einige lehnen gar diesbezügliche Beratungsangebote ab. Die Zahlen kommen ja von der Polizei und müssen daher richtig sein. Andere Zeitungen fragen proaktiv beim ADFC nach, was wir zur Unfallsituation und Kölner Infrastruktur sagen.

Warum kritisieren wir die Darstellung der Polizei?

Es geht letztendlich um die Filterung der Daten, die seit Jahren so gewählt wird, dass der Radverkehr in der medialen Öffentlichkeit nicht gut weg kommt. Das gleiche gilt für die bundesweit typische Polizei-Pressemitteilung über den helmlosen, übersehenen Radfahrer, der sich aus völlig unerklärlichen Gründen nach einer Berührung durch ein Auto selbst verletzte. Manches Mal wird die Faktenlage gar vollkommen verdreht und das Unfallopfer wird zum Verkehrsrowdy. Die Folgen daraus sieht man nicht nur im Image des Radverkehrs, sondern auch im rücksichtslosen Verhalten von anderen Verkehrsteilnehmern gegenüber Radfahrenden.

Fakten aus der polizeilichen Unfallstatistik

Dabei kann man der Unfallstatistik der Kölner Polizei auch ganz andere Aussagen entnehmen, wenn einem die ungefilterten Rohdaten vorliegen. Alle folgenden Zahlen beziehen sich auf Unfälle auf dem Kölner Stadtgebiet im Jahr 2016.

Kraftfahrzeuge sind an gut 98% aller Verkehrsunfälle beteiligt.

Hohe Unfallzahlen sind mitnichten nur ein Problem des Radverkehrs. Die weitaus meisten Unfälle entstehen durch und mit Kraftfahrzeuge. Wir haben in Köln eine hohe Aggressivität, die sich von den starken Verkehrsteilnehmern ausgehend auf alle Beteiligten auswirkt.

Kraftfahrzeuge verursachen 96% aller Verkehrsunfälle.

Kraftfahrzeuge sind die wesentliche Ursache für Unfälle, Verletzte und Tote im Straßenverkehr. Dies liegt einerseits an der baulich bedingten hohen Betriebsgefahr von Kraftfahrzeugen und der hohen Geschwindigkeit. Andererseits ist aber auch das Fahrverhalten der Autofahrer ursächlich. Durch die Absicherung durch Karosserie und allerlei Sicherheitstechnik geht ein Autofahrer implizit ein höheres Risiko ein, weil er sich in seiner persönlichen Abwägung sicher fühlt.

Es wird gerast, es wird gefährdend geparkt, es wird eng überholt und bei Rot gefahren. Und nichts davon wird ernsthaft verfolgt. Hier hilft vor allem, die real gefahrene Geschwindigkeit deutlich zu reduzieren. Dazu brauchen wir die maximale Umsetzung von Tempo 30 und weniger in den Städten. Dies erreichen wir durch Straßen, die nicht nach Tempo 70 und höher aussehen und durch häufige und unangekündigte Geschwindigkeitskontrollen. Außerdem darf das gefährdende Falschparken nicht weiter toleriert werden. Es hier nicht nur um die Frage, wie wir unseren öffentlichen Raum nutzen wollen, sondern auch um reale Fragen der Verkehrssicherheit.

Die Polizei wäre gut beraten, primär beim Hauptverursacher anzusetzen, um die Anzahl der Unfälle zu senken.

Knapp zwei Drittel der Unfälle zwischen Radlern und Kraftfahrzeugen werden von den motorisierten Verkehrsteilnehmern verursacht.

Nach Aussagen der Polizei sind Autofahrer und Radfahrer je zur Hälfte für die Unfälle verantwortlich. Dies ist zwar nicht falsch, aber nur die halbe Wahrheit, denn die Zahl bezieht sich auf alle Unfälle mit Fahrradbeteiligung, also z.B. auch Unfälle zwischen Radlern oder Alleinunfälle mit dem Rad. Bei diesen kann per se nur der Radfahrer der Verursacher sein, wenn man mal die wohl häufigste wahre Ursache – die schlechte Kölner Infrastruktur – außer acht lässt. Die ehrlichere Zahl hier ist, dass zwei Drittel der Unfälle zwischen Rad und Kraftfahrzeug vom Kraftfahrzeugführer verursacht werden. Warum werden an einem Fahrrad-Aktionstag vor allem Radfahrer kontrolliert? Kontrollen von Radlern sind auch erforderlich, keine Frage, aber vielleicht sollte man die Prioritäten richtig setzen.

Würde man den statistischen Ansatz der Polizei übrigens für das Automobil abbilden, müsste man sagen, dass Kraftfahrzeuge 98% aller Verkehrsunfälle verursachen, an denen Sie beteiligt sind. Nur wird man diese Zahl nie in polizeilichen Meldungen oder den Medien finden. Die Gefährlichkeit des Automobils scheint einfach gesellschaftlich akzeptiert zu sein.

Die einseitige mediale Darstellung hat zur Folge, dass der Radverkehr in den Kommentaren unter Medienbeiträgen mit Fahrradbezug als Rowdytum dargestellt wird. Selbst unter Zeitungsartikeln mit tödlich verunglückten Radfahrenden gibt es negative Kommentare von den Lesern. Daher habe ich einmal für die drei wichtigsten Thesen in den Kommentaren nach verlässlichen Zahlen gesucht:

Acht von zehn Rotlicht-Unfällen werden von Autofahrern verursacht.

Die wohl häufigste Großstadtlegende ist die des bei Rot fahrenden Radfahrers. Ja, es gibt ihn, und fast jeder Radler gehört irgendwann mitunter dazu. Aber es ist dennoch ein Fakt, dass 80% der Unfälle durch die Missachtung von roten Lichtsignalanlagen von Autofahrern verursacht werden. Wenn man sich mal an eine beliebige Kölner Ampel stellt, sieht man, dass dass Gas geben bei Dunkelgelb normal ist. Wer hier – wie es die StVO verlangt – bremst, verursacht einen Auffahrunfall. An machen Kreuzungen fahren dazu bis zu drei (!) Autos noch bei Rot. Aber wo wird das gezielt kontrolliert? Im Kölner Stadtgebiet gibt es gerade mal fünf uns bekannte Kreuzungen, an denen Rotlichtblitzer stehen, von Schwerpunktkontrollen dazu durch die Polizei haben wir auch noch nie gehört. Für eine Millionenstadt kommt das eine Akzeptanz gleich.

Natürlich ist die regelmäßige Rotlichtmissachtung durch Fußgänger und Radfahrende nicht abzustreiten, aber in den wenigsten Fällen wird sich jemand ohne nach links und rechts zu schauen in den querenden Kraftfahrzeugverkehr stürzen. Der wesentliche Grund für das Ignorieren roter Ampeln ist hier die konsequente Bevorzugung des automobilen Verkehrs in der Konzeption von Lichtsignalanlagen in Köln. Während Autofahrende genau eine Ampel zu beachten haben, gelten für Radfahrende an vielen Kreuzungen 4, manchmal gar 7-8 Ampeln, um eine Kreuzung zu durchqueren. Und mal gelten die Ampeln auf der Fahrbahn, mal die auf dem Radweg, diese stehen mal vor oder mal hinter der Kreuzung. Fußgänger benötigen an mancher Kreuzung über sechs Minuten, bis sie an alle Ampeln bei grün überquert haben. Wen wundert es da, wenn da jemand Probleme mit der Akzeptanz der Lichtsignalanlage hat? Es gilt statt der Vision Zero die Vision Zero Rückstau in der Stadtverwaltung. Selbst die Leiterin der städtischen Unfallkommission macht sich in der Presse immer wieder mehr Sorgen über Stau als über den Schutz der schwächeren Verkehrsteilnehmer.

Obwohl Fußgänger und Radfahrer nur in jeweils gut 10 Prozent der Rotlichtunfälle der Unfallverursacher sind, gibt es dagegen beinahe täglich gezielte Kontrollen auf Rotradler. Nicht an den Unfallschwerpunkten, sondern an bekannten missverständlichen Stellen, an denen Radfahrende häufig die Ampel ignorieren, aber quasi nichts passiert. Wer setzt solche Schwerpunkte?

Etwa drei von fünf Unfällen zwischen Radlern und Fußgängern werden von den Fußgängern verursacht.

Dies ist eine zunächst überraschende Zahl, denn vor allem Fußgänger fühlen sich zurecht (!) vom Radverkehr bedrängt. Zum Einen gibt es Gehwegradler, die rücksichtslos über den Bürgersteig fahren. Das ist nicht in Ordnung, auch wenn die wahre Ursache dieses Verhaltens natürlich in der motorisierten Gewalt liegt. Andererseits liegt es aber auch daran, dass Fußgänger häufig einen Radweg nicht erkennen und sich auf einem Gehweg wähnen. Auch das ist in einer Stadt wie Köln gut nachvollziehbar, da hier Gehwege gräulich-grau und Radwege meist rötlich-grau sind. Ohne ein zuverlässiges Farbmessgerät ist es oftmals nicht möglich, überhaupt einen Unterschied feststellen zu können. Es ist hier auf beiden Seiten nicht immer nur Rücksichtslosigkeit, sondern oft eben die schlechte Infrastruktur für die nicht-motorisierten Verkehrsteilnehmer unfallursächlich.

Dies ist eben auch wohl die Hauptursache für Konflikte zwischen Fußgängern und Radfahrern. Die ungerechte Verteilung des gesamten Verkehrsraums zugunsten des Automobils muss beendet werden, um dieses Dilemma zu lösen. Wer gemeinsame Geh- und Radwege baut, Radfahrer auf viel zu enge Radwege zwingt und den verbliebenen Verkehrsraum überall mit sichtbehindernden Werbesäulen zupflastert, darf sich nicht wundern, dass dieses “Konzept” nicht funktioniert. Oftmals würden auch einfach ein paar Piktogramme verdeutlichen, wo ein Gehweg und wo ein Radweg ist oder dass Fußgänger in einer freigegebenen Einbahnstraße mit Radverkehr aus beiden Richtungen rechnen müssen. Piktogramme zur Entschärfung von Konflikten sind jedoch im technischen Rathaus unerwünscht.

100% der Kölner Baustellen entsprechen nicht dem Standard.

Zugegeben ist dieser Absatz nicht der Unfallstatistik zu entnehmen, aber dennoch ein Fakt. Die schlechte Absicherung von Baustellen in Köln ist eine kaum erfasste Unfallursache. Die AGFS (Arbeitsgemeinschaft der Städte, die in ferner Zukunft vielleicht einmal fahrradfreundlich werden wollen, falls der motorisierte Individualverkehr auf magische Art und Weise weniger wird) gibt eine gute Broschüre zur Absicherung von Baustellen heraus. Darin wird sehr gut und verständlich beschrieben, was man tun muss, um Baustellen an Geh- und Radwegen abzusichern. Man sollte meinen, dass Köln als Gründungsmitglied der AGFS diesem Dokument folgt. Allerdings wird nicht einmal die hauseigene Baustellenfibel in der Praxis eingefordert, von der Umsetzung der gesetzlich einzuhaltenden Richtlinie RSA-95 ganz zu schweigen. Stattdessen sichern Stadtverwaltung, RheinEnergie und Co, ebenso wie private Bauträger ihre Baustellen unzureichend ab. Radwegbenutzungspflichten werden nach Lust und Laune angeordnet oder aufgehoben, Schilder, die zufällig auf dem Wagen sind, aufgestellt, Überführungen auf die Fahrbahn sind gelb markierte Pseudo-Infrastruktur, die Sicherheit nur vorgaukelt. Und die Polizei vermeldet lediglich einen unvermittelten Wechsel auf die Fahrbahn, wenn es wieder einmal zu einem Unfall kommt.

Rolle des ADFC

Es wäre wünschenswert, wenn es hier ein Umdenken auf Seiten der Zeitungen und Sender geben würde. Sowohl Pressemeldungen zu Unfällen als auch Statistiken sollte man immer hinterfragen. Der ADFC ist hier ein guter Ansprechpartner vor Ort und unterstützt hier gern.

Auch wenn wir hier wieder einmal deutlich kritisieren: Die Verkehrsdirektion der Kölner Polizei nutzt unsere Expertise bereits und ist auf einem guten Weg. Allerdings wird es noch lange dauern bis auch in den einzelnen Polizeirevieren nicht nur durch die Windschutzscheibe des Streifenwagens gedacht wird. Ein Perspektivwechsel wäre hier unabdingbar.

Für die Entschärfung von Unfallschwerpunkten sollte Köln nicht nur bereits vorhandene Beschlüsse endlich umsetzen, sondern auch die gesetzlich vorgeschriebenen Verkehrsschauen durchführen und die Interessenvertretung der Radfahrenden bei allen Fahrradunfällen an der Unfallkommission beteiligen, auch wenn dies nachweislich Arbeit macht. Die Verwaltung sollte den Ausbau der Autogerechten Stadt endlich beenden und die nachhaltigen Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt in der Planung berücksichtigen.

Mein persönlicher Traum wäre es, keinen Grund mehr für den Ride of Silence zu haben. Ich mag keine Fahrräder mehr weiß lackieren.

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