Die Fahrradtortour: Bochum – Adria – Salzburg

Der Plan war einfach: Mit dem Fahrrad über die Alpen. Heraus kam eine Fahrradtour von Bochum an die Adria und zurück bis Salzburg mit zwei Alpenquerungen. Etwa 2.400 km in vier Wochen.
Die einfachste Variante wäre gewesen: Folge dem Fluss. Also vom Bochum an den Rhein und immer rheinaufwärts bis zum Bodensee. Das kannte ich schon und wollte lieber der Stadt mit dem Rad einen Besuch abstatten, in der ich aufgewachsen bin.

Bozen

Bergische Panorama-Radwege

Für den Weg nach Gummersbach bieten sich die bergischen Panorama-Radwege an: Ab Hattingen sind das Schulenberg-Trasse, Nordbahntrasse bis Wuppertal, von da Balkantrasse nach Remscheid und Bergischer Panorama-Radweg nach Marienheide.

Man kann die Panorama-Radwege von Bochum aus auch mit dem Ruhrtalradweg und dem Ruhr-Sieg-Radweg zu einer etwa 400 km langen Rundtour durch das Sauerland, das Oberbergische und das Bergische Land über Arnsberg, Olpe, Solingen und Kettwig kombinieren. Es gibt zwei Karten dazu und die Strecken sind im Radroutenplaner NRW integriert.(Siehe www.panorama-radwege.de und www.einfach-bergisch-radeln.de)

Die Balkantrasse hatte ich von Remscheid-Lennep aus schon einmal verpasst und wollte sie diesmal von Wuppertal aus erkunden. Die Balkantrasse orientiert sich zwar an einer ehemaligen Bahntrasse, aber von Wuppertal nach Remscheid führt sie über Nebenstraßen und Wirtschaftswege nach Remscheid. Sie gab mit eine guten Vorgeschmack auf das, was folgen sollte: Viele Höhenmeter.

Ohne GPS-Track hätte ich den Weg allerdings wohl wieder nicht gefunden. Insbesondere in Remscheid ist die Wegführung sehr kompliziert und die Beschilderung nicht immer hilfreich.

VeRa Radroutenplaner

Bis Gummersbach war die Planung einfach, dann wurde es allerdings schwierig. Wenn man den Weg durch das Bergische wählt, fließen alle Flüsse quer zur Fahrtrichtung. Man kann meist keinem Fluss folgen, sondern quert die Flusstäler: Ruhr, Wupper, Agger, Wiehl, Sieg, Lahn und Main. Da die Planer der Radverkehrsnetze zudem die viel befahrenen Straßen und den Tälern vermeiden, geht es also dauernd rauf und runter. Das machte schon den Weg zu den Alpen zu einer anspruchsvollen Sache.

Für die Streckenplanung hatte ich die Radroutenplaner der verschiedenen Bundesländer zwischen Bochum und Alpen verwendet. Es gibt ein bundesweites Portal, das alle vorhandenen Radroutenplaner unter einem Dach zusammenfasst und eine Planung über die Ländergrenzen hinweg erlaubt. VeRa (www.radroutenplaner-deutschland.de) befand sich allerdings seit Jahren im Betastadium, ist aber jetzt wohl vorläufig fertig. Die Radroutenplaner der beteiligten Bundesländer arbeiten sehr unterschiedlich. Das Gesamtergebnis einer Streckenplanung über mehrere Bundesländer hinweg hat damit immer etwas von einer Wundertüte. Es gibt keine einheitlichen und nachvollziehbaren Kriterien für die Routenplanung. Um wenigstens einen ungefähren Eindruck von der berechneten Strecke zu erhalten, muss man die Abschnitte für jedes Bundesland einzeln noch einmal in dem jeweiligen Radroutenplaner prüfen und gegebenenfalls korrigieren.

Mittelgebirge

Hinter Gummersbach liegt nicht gerade das Kernland des Fahrradtourismus. Es gibt dort keine Fernradwege und auch keine Campingplätze. Da ich auch diesmal nur mit Muskelkraft unterwegs sein und nur mit Zelt, Schlafsack und Isomatte übernachten wollte, musste ich mich von vornherein auf Selbstverpflegung und improvisierte Schlafgelegenheiten einstellen. Das bedeutet mehr Gepäck und da der Sommer 2018 sehr warm war, auch immer einen größeren Wasservorrat. Kombiniert mit einem anspruchsvollen Höhenprofil ergab das eine Radtour, auf der ich mein Rad so oft und so lange geschoben habe, wie noch nie. Die vorgesehenen 100 km pro Tag schienen dann unerreichbar.

Übernachtung unter freiem Himmel

Andererseits musste ich die Rückfahrt mit dem Fernbus ab Salzburg weit vorher buchen, um die Fahrradmitnahme zu sichern. Das sorgte für zusätzlichen Druck. Nach der Tour habe ich die Reiseberichte von Christine Thürmer gelesen (Wandern, Radeln, Paddeln. 12.000 km Abenteuer in Europa). Sie macht keine Reise, bei der sie den Tag der Ankunft vorher festgelegt hätte. Zu viel Stress. Das kann ich nachvollziehen. Ich hatte bis zum letzten Alpenpass jeden Tag Zweifel, ob ich es schaffen würde.

In der ersten Woche habe ich also bei Gesprächen unterwegs immer nur den Bodensee als Ziel angegeben. Erst mal überhaupt bis dahin kommen.

Main – Heidelberg – Pforzheim

Am Main dann der erste Reinfall mittels Radroutenplaner: Ich soll den Main mit einer Fähre queren. Die fährt aber nur am Wochenende. Es ist aber Dienstag… Also muss ich eine Brücke suchen und die ortskundigen Einheimischen empfehlen immer die in der falschen Richtung.

Main – ohne Fähre

Von Frankfurt nach Heidelberg folgen dann die ersten Flachetappen im Rheintal. Nicht durch den Odenwald, sondern am Odenwald entlang. Allerdings macht die vordere Hydraulik-Bremse wieder schlapp. Die zweite Reparatur hatte das Problem also wieder nur für eine Woche gelöst. In Heidelberg musste ich also mal eben eine Fahrradwerkstatt finden, die mir mitten in der Hochsaison mal eben die Bremse repariert. Unterwegs hatte ich nur Fahrradgeschäfte gesehen, die Urlaub machen oder ein Schild an der Tür: Reparaturannahme erst wieder im Herbst.
Unwahrscheinlich aber wahr: In Heidelberg gab es einen kleinen Fahrradladen mit Herz für Radwanderer und Sachverstand für Hydraulikbremsen, die ja eigentlich nie kaputt gehen.

Erste Nach auf einem Campingplatz – mit Regen

Hinter Heidelberg wartet der Schwarzwald und da wollte ich nur mit funktionierenden Bremsen hin. In Bruchsal schicke ich das erste Mal von unterwegs überflüssiges Gewicht nach Hause. In der Nacht vorher, die erste Nacht auf einem Campingplatz, hatte es geregnet. Aber alles ist so trocken, dass ich den Spirituskocher wegen der Waldbrandgefahr nicht benutzen kann. Viel Gewicht spare ich so auch nicht, aber es fühlt sich besser an.

Bertha Benz

Unterwegs nach Pforzheim kreuze ich die historische Trasse, auf der Bertha Benz vor einhundertdreißig Jahren die erste Fernfahrt mit einem Automobil unternommen hat. Von Mannheim nach Pforzheim und drei Tage später wieder zurück: 106 km an einem Tag! Das schaffe ich auch.

Pforzheim liegt an der Enz. Die Abfahrt ins Tal macht mir wieder einmal deutlich, wie lange ich vorher bergauf unterwegs war. Mehrere Male gab es weit vor den Alpen lange und steile Abfahrten, bei denen ich unterwegs nach unten nur froh war, dass ich da nicht hinauf musste.

Heildelberg-Schwarzwald-Bodensee-Radweg

Von Pforzheim gibt es zwei Fernradwege Richtung Süden: Den Heidelberg-Schwarzwald-Bodensee-Radweg und den neueren Schwarzwald-Panorama-Radweg. Eigentlich hatte ich den Panorama-Radweg geplant, aber die Aussicht auf den höchsten Punkt bei 850 Metern lässt mich angesichts der bisherigen Kilometer schwach werden. Ich beschließe, weiter dem HSB-Radweg entlang der Nagold zu folgen. Vermeintlich ist das leichter.

Pause an der Nagold

Über die Wasserscheiden zwischen Nagold, Neckar und Donau muss ich trotzdem.

Immerhin komme ich so an zwei getürkten Quellen vorbei: Sowohl die Neckarquelle in Villingen-Schwenningen als auch die Donauquelle in Donaueschingen sind willkürlich gewählt: Die Obrigkeit hatte es so angeordnet. Die Neckarquelle ist noch ganz neu: Erst 2010 wurde sie neu angelegt und wieder zum Fließen gebracht.

Hinter Donaueschingen geht mir dann trotz GPS-Track und Beschilderung der Weg verloren. Beide führen ins Nichts. Die Improvisation führt über den tosenden Verkehr der B27. dann finde ich wieder einen Hinweis, weg von der Straße. Erst geht es tief ins Tal hinab, dann wieder steil auf die Höhe, von der ich gekommen bin. Aber wenigstens stimmt die Strecke jetzt wieder. Diese Achterbahnfahrten sind irgendwie typisch für die ganze Radtour. Es geht mit maximal 6 km/h bergauf – wenn ich nicht schieben muss – und gleich danach mit 60 km/h bergab. Und das wiederholt sich immer wieder.

Bodensee

Nach einer Woche und 728 km bin ich in Radolfzell am Bodensee. Das erste große Etappenziel ist erreicht. Im Bodensee ist beeindruckend wenig Wasser. Unterwegs hatte das Thermometer am Rad gerne Temperaturen über 40 Grad angezeigt. Entsprechend viel Wasser habe ich gebraucht.

Einmal hatte ich den Wassersack unterwegs an einem Friedhof gefüllt. Als ich die Trinkflaschen wieder auffüllen will, der Schock: Der Wassersack ist weg! Also das ganze Gepäck im Wald versteckt und im Höchsttempo zurück. Hoffentlich finde ich ihn wieder. Am Friedhof liegt er dann auf dem Gehweg. Ich hatte vergessen, ihn wieder ordentlich zu verstauen und er ist beim Losfahren sofort runtergefallen. Deshalb hatte es sich so leicht angefühlt beim Fahren. Jetzt habe ich nur noch die Packtaschen im Kopf. Ruhe habe ich erst wieder, als auch die wieder am Rad sind.

Die Versorgung mit ausreichend Wasser war unterwegs manchmal schwierig. Kein Campingplatz und kein Supermarkt bedeutet kein Wasser. Einmal habe ich mich aus einer Viehtränke bedient. Friedhöfe sind auch gut. In Deutschland werden die Blumen mit Trinkwasser gegossen.

Campingplatz am Bodensee

Am Bodensee ist alles überfüllt. Campingplätze gibt es nicht viele. Ich muss von Radolfzell noch mal über den Berg nach Ludwigshafen. Da ich eigentlich eine andere Strecke geplant hatte, musste ich für diese Strecke improvisieren. Es gibt in Radolfzell eine Beschilderung, die aber schnell versiegt. Die Anweisungen meines GPS-Geräts, das für die 15 km eine Route berechnen sollte, sind für mich unverständlich. Also wieder einmal Schieben im Wald.

Der Campingplatz so voll, wie ich das noch nie gesehen habe. Nur für ein Zelt und ein Fahrrad ist noch Platz. Alle anderen müssen weiter.

In Friedrichshafen habe ich einen Besuch im Zeppelinmuseum eingeplant. Der erste Aufenthalt. Für das Dornier-Museum reicht die Zeit nicht mehr. Von Lindau aus geht es quer durch das Allgäu Richtung Füssen. Erst jetzt fühlt es sich wie Urlaub an und ich habe endlich das Gefühl, es könnte klappen mit der Fahrt zum Mittelmeer – wenn ich über die Alpen komme.

Bodensee-Königssee-Radweg

Das Allgäu ist schlicht schön. Es geht auf und ab, aber ohne Extreme. Es sind viele Radfahrer unterwegs. Die meisten mit kleinem Gepäck, viele mit Pedelecs. Der Fernradweg Bodensee-Königssee führt quer durch das Allgäu und trifft in Füssen auf die Via Claudia Augusta. Unterwegs kann man ein Stück dem neuen Iller-Radweg nach Sonthofen folgen. Vor Füssen wird es allerdings schwieriger. Nach zehn Tagen erreiche ich am Vormittag Füssen. Der Forggensee vor der Stadt ist der größte Stausee in Deutschland. Allerdings war er in diesem Sommer komplett leer. Der Staudamm musste saniert werden. Er war nicht einfach ausgetrocknet.

Via-Claudia-Augusta

In Füssen wimmelt es von Touristen. Die Hoffnung, dort einen guten Radwanderführer für die Via Claudia Augusta zu finden, erfüllt sich nicht. Es gibt nur den Bikeline-Führer und der ist atemberaubend schlecht. Man erfährt sehr viel darüber, mit man mit Bahnfahrten und Bus-Shuttles alle Schwierigkeiten umgehen kann. Über die Schwierigkeiten auf der Strecke erfährt man sehr wenig.

Via Claudia Augusta vor der Klause Ehrenberg

Die Via Claudia Augusta gilt als die leichteste Alpenquerung per Rad. Es handelt sich, wie der Name sagt, um einen etwa 2000 Jahre alten römischen Handelsweg von der Donau bis zum Mittelmeer. Der Radweg beginnt in Donauwörth und erreicht nach etwa 175 km, immer am Lech entlang, Füssen.

Hinter Füssen geht es über die Grenze nach Österreich und alles ist wieder ruhig. Die Strecke führt entlang der Flusstäler und ist – abgesehen von den Pässen – nicht schwierig. Nur der Schotterweg zur Klause Ehrenberg hinter Reutte ist so steil, dass ich das Rad kaum hinauf schieben kann. Die Planer haben im Zweifelsfall bestehende Wanderwege in die Radstrecke integriert, um die Straßen zu vermeiden. Nach 1000 km Weg von Bochum erreiche in den letzten Campingplatz vor dem ersten Alpenpass und gönne mir einen Tag Pause. Auf der Zugspitze.

Zugspitze

Die Zugspitze ist mit 2962 m der höchste Berg von Deutschland gehört zur Hälfte aber auch zu Österreich. Deshalb gibt es sowohl ein Tiroler als auch eine bayrische Seilbahn auf den Berg. Die Tiroler Seilbahn ist 3,6 Kilometer lang und führt von Ehrwald-Obermoos (1225 m) über nur drei Stützen auf die Zugspitze (2950 m). Die bayrische Seilbahn beginnt am Eibsee auf 1000 m Höhe und führt über 4,5 km zum Gipfel. Selbstverständlich etwas höher als die Tiroler Bahn. Wer aus Tirol kommt, muss noch ein paar Treppen gehen und die Grenze überqueren.

Zugspitze

Der Blick von der Gipfelstation war beeindruckend: Eine trockene Mondlandschaft mit dem Rest des größten deutschen Gletschers. Während ich auf Gipfeltour war, musste ich in Ehrwald meine Radschuhe reparieren lassen: Die Sohle löste sich ab. Immerhin hat die Reparatur für die zweite Hälfte der Reise gehalten, nur gegen Ende musste ich an einem Schuh mit Kabelbindern nachhelfen.

Fernpass

Am nächsten Tag der erste Pass. Die Radstrecke führt vom Campingplatz (980 m) über Schotterwege durch den Wald bis auf 1272 m Höhe. Die viel befahrene Passstraße nimmt einen anderen Weg. Vom Radfahren auf dieser Straße wird dringend abgeraten. Auf der Südseite des Fernpasses haben Weg und Landschaft einen ganz anderen Charakter als von Norden her. Der Weg abwärts von der Passhöhe wird nach Süden so schmal, dass Radfahrer zum Schieben aufgefordert werden: “Mountainbike-Route. Schiebestrecke”. Die Ausblicke und Abhänge sind atemberaubend. Es geht wieder abwärts bis auf 900 m Höhe. Allerdings kommen mir einige Radfahrer bergauf entgegen.

Fernpass

Die Strecke folgt dem Tal bergab bis zum Inn (etwa 715 m Höhe). Zwischen Fernpass und Inn liegen etwa 550 Höhenmeter. Für mich bergab. Von da geht es immer das Inntal hinauf zum nächsten Pass: Der Reschenpass hat etwa 1510 m Höhe.

Reschenpass

Kurz vor dem Pass liegt passend der Campingplatz Via-Claudia-Augusta-See. Angesichts der Höhenmeter und der Hitze habe ich mir vorgenommen, die Pässe möglichst früh am Morgen hoch zu fahren. Wer mit dem Rad auf den Reschenpass will, muss einen kleinen Umweg über die Schweiz machen. Von Martina aus führt eine wenig befahrene Passstraße in elf Kehren zum Pass. Die Straße ist – für mich sehr überraschend – einfach zu fahren. Es geht 7 km immer schön gleichmäßig Kehre und Kehre bergauf. Oben auf der Höhe sind viele Radfahrer unterwegs, mit dem Rennrad oder dem Mountainbike. Sehr viele davon mit Elektromotor. Meine Kombination von viel Gepäck und ohne Motor sieht man eher selten.

Reschenpass

Südtirol – Das Etschtal

Oben am Reschenpass beginnt Italien und das Etschtal. Von hier bis nach Trient geht es immer an der Etsch entlang über Meran und Bozen 180 km bergab bis hinunter auf 190 m Höhe. Die offizielle Etschtal-Radroute beginnt noch vor dem Reschenpass in Landeck und führt durch Tirol, Südtirol, das Trentino und Venetien nach Verona, insgesamt 345 km.
Der Gardasee lässt grüßen und ist auch von Trient aus leicht zu erreichen.

Die Etsch kennt eigentlich jeder. In der nicht mehr offiziellen ersten Strophe unserer Nationalhymne hat August Heinrich Hoffmann von Fallersleben im Jahr 1841 seine Vorstellung von Deutschland beschrieben: “Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt”. Maas, Memel und Belt waren mir klar, die Etsch bislang nicht. Auch heute wird im Etschtal noch Deutsch gesprochen. Im italienischen Südtirol ist Deutsch neben Italienisch sogar offizielle Amtssprache. Wenn man also Italienurlaub machen will ohne italienisch, ist man in Südtirol richtig.

Etschtal-Radweg

Es geht kilometerlang durch Apfelplantagen. Auch Wein und andere Obstsorten werden im Etschtal angebaut. Es gibt viel Sonne, aber nur wenig Regen, deshalb muss alles bewässert werden und die Etsch ist über lange Strecken zu einem schnurgeraden Bewässerungskanal umgebaut. Die Stauseen am Reschenpass regeln den Wasserstand.

Trient – Die Entscheidung

In Trient muss man sich entscheiden: Richtung Verona oder Richtung Venedig? Wenn man wie ich die Richtung Adria wählt, ändert sich alles. Hier beginnt mit Abstand der schwierigste und der am schlechtesten ausgebaute und beschilderte Teil der Strecke. Vor der Poebene liegen noch drei Alpenpässe mit steigendem Schwierigkeitsgrad. Der letzte ist der schwerste von allen. Auch die Streckenabschnitte zwischen den Pässen haben es in sich – wenn man den Weg überhaupt findet. Ohne GPS-Track ist das unmöglich. Und auch der offizielle Track ist sehr ungenau. Bikeline empfiehlt ein ums andere Mal Bahn und Bus, um den Schwierigkeiten zu entgehen.

Via Claudia Augusta hinter Trient

Mein Eindruck war, dass viele Wege schon sehr lange nicht mehr mit dem Rad befahren worden waren. Teilweise, weil das gar nicht möglich war außer für trainierte Mountainbike-Fahrer ohne Gepäck. Wenn die Via-Claudia-Augusta als “einfache” Alpenquerung empfohlen wird, gilt das sicher nicht für den Weg von Trient durch die Dolomiten. Auch Campingplätze sind auf diesem Abschnitt sehr rar.

Von Trient aus geht es sofort seht steil und lang bergauf. Ich habe das Rad fast nur geschoben. An Fahren war nicht zu denken. Es gibt ein paar kleine Hinweisschilder auf die VCA, aber die sind für Wanderer. Anscheinend hat man auch hier die Wanderwege kurzerhand zum Fernradweg gemacht. Außer mir fährt hier keiner – und ich auch nicht. Ich schiebe. Es geht im Wechsel steil bergauf und bergab. Übernachten musste ich wieder unter freiem Himmel. Zum Glück gibt es Trinkwasserbrunnen. Man weiß nur vorher nicht wo.

Drei Dolomitenpässe

Die Namen der drei Pässe sind: Passo Forcella / Dietro Castello (Trentino) 910 m, Croce d’Aune 1011 m, Passo Praderadego 910 m.
Der höchste der drei Pässe ist nur 1000 m hoch. Aber es zählt eben auch, in welcher Höhe der Fußpunkt des Passes liegt. Der letzte Pass in den Dolomiten hat nur knapp über 900 m. Aber die Anfahrt beginnt bei 300 m Höhe. Die langen Abfahrten von den Pässen entschädigen allerdings für so manche Strapaze. Und im Prinzip, aber auch nur im Prinzip, geht es ja seit etwa Pergine Valsugana bergab. Wenn nur die Pässe nicht wären.

Hinter dem Pass

Bei der Abfahrt vom Passo Forcella fühlt man sich in die Welt der Karl-May-Filme versetzt. Tiefe Schluchten, Felswände und ein See tief unten im Tal, das könnte der Silbersee sein.

Anfahrt zum Croce d’Aune

Am Croce d’Aune soll Tullio Campagnolo auf die Idee des Fahrrad-Schnellspanners gekommen sein, nachdem es ihm in der Kälte am Pass nicht gelang die Radmuttern zu lösen, um das Hinterrad zu drehen. Die Gangschaltung war noch nicht erfunden und Ritzel auf beiden Seiten des Hinterrades waren die einzige Möglichkeit, vom Schnellgang auf den Berggang zu wechseln.

Der Passo Praderadego ist das letzte Hindernis auf dem Weg zur Adria. Der Anstieg zieht sich endlos lange hin. Es geht durch Wälder und Wiesen immer bergauf. Auf der anderen Seite erkennt man den Pass nicht wieder. Jetzt ist es eine Gebirgsstraße, teilweise in den Fels gehauen, mit engen Kehren. Und die Aussicht in die Ebene ist grandios.

Abfahrt vom Praderadego

Nach einem letzten Hügel liegt die flache Ebene da. Überall sind Kanäle und Bewässerungsanlagen. Kaum ein Fleckchen wird nicht genutzt.

Treviso – Quarto d’Altino

In Treviso, einer hübschen, von Kanälen durchzogenen Stadt, musste ich mich (1500 km von Bochum) entscheiden: Die ganze Strecke mit dem Rad oder doch noch eine Abkürzung per Bahn Richtung Alpe-Adria-Radweg? Ich liege wider Erwarten immer noch im Zeitplan und bis zur Adria gibt es keine Berge mehr. Also weiter.

Von Treviso aus geht es immer am Kanal und dann am Fluss entlang Richtung Adria. Aber da, wo der Track die Flussseite wechselt, gibt es keine Brücke und keine Fähre. Nur am Wochenende gibt es stundenweise eine Touristenfähre. Davon weiß auch Bikeline nichts. Es gibt auch einen Radweg München-Venetia, der von Treviso aus immer am Fluss entlangführt. Also immer weiter am Fluss entlang, Kurve um Kurve. Es gibt keine Brücken. Aber der Fluss mündet ins Mittelmeer. Die Richtung kann nicht falsch sein.

Adria

Adria

Offizieller Endpunkt der VCA ist Quarto d’Altino, 30 km vor der Adriaküste. Dort treffen sich alle Wege wieder. Ich habe mich entschieden, nicht nach Venedig zu fahren, sondern Richtung Osten an der Lagune entlang zur Küste. Am Lido des Jesolo gibt es unzählige Campingplätze. So weit komme ich allerdings nicht, denn am Abend gibt es ein heftiges Gewitter und starken Regen, der mich zwingt, schnellstmöglich das Zelt aufzustellen, egal wo.

So erreiche ich erst am nächsten Morgen die Adria – nach 1600 km in 16 Tagen. Es ist gar nicht so einfach, das Meer zu erreichen. Es gibt nur wenige frei zugängliche Strandbereiche. Fast alles ist privat. Im Bodensee war ich schon Schwimmen, hier schwimme ich im Mittelmeer. Nach einem Vormittag am Strand fahre ich an der Küste entlang nach Cáorle. Noch eine Touristenhochburg.

Alpe-Adria-Radweg

Von da geht es am nächsten Tag Richtung Tagliamento, um den Alpe-Adria-Radweg zu erreichen. Von dem großen Fluss ist allerdings nicht viel zu sehen. Wo das GPS blaue Wasserflächen zeigt, sehe ich nur ein trockenes Flussbett. Meine Strecke führt immer am Tagliamento nach Norden, auf die Berge zu, die am Horizont immer zu sehen sind.


Tagliamento

In Venzone wechsele ich die Flussseite und befinde mich auf Alpe-Adria-Radweg. Zu Merken ist davon nichts, es gibt keine Beschilderung. Die Strecke zweigt wenig später vom Tagliamento ab und folgt dem Felia-Tal. Es geht zwischen den Bergen immer am Fluss entlang bergauf. Die Strecke führt entlang einer großen Straße, als ich einen Radfahrer, der ein Stück vor mit fährt plötzlich absteigen und verschwinden sehe. Als ich an der gleichen Stelle ankomme, sehe ich zu meiner Überraschung eine bestens ausgebaute Bahntrasse neben der Straße. Ab hier (unter der Autobahnbrücke der A23 bei Campiolo) führt der Alpe-Adria-Radweg über eine alte Bahntrasse und benutzt bis auf wenige Ausnahmen die alten Brücken und Tunnels. Die Bahntrasse führt bis Tarvisio und ist der schönste Abschnitt auf dem Alpe-Adria-Radweg.

Alpe-Adria-Radweg – Bahntrasse Richtung Tarvisio

An der italienisch-österreichischen Grenze wird es dann für ein paar Kilometer ziemlich unschön, bis die Strecke wieder am Fluss Gail entlangführt. Von Villach aus geht es an der Drau entlang, dann weiter die Möll hinauf. Unfreiwillig kommt hier die längste Tagesetappe zustande. Der anvisierte Campingplatz existiert nicht mehr. So komme ich zum Schluss auf 150 Tageskilometer. Wenig später folgt die einzige Passstraße auf dem Alpe-Adria-Radweg, von Oberfellach hinauf zur Tauernschleuse bei Mallnitz.

Tal der Möll

Tauernschleuse

Von hier geht es in wenigen Minuten mit dem Zug unter den Hohen Tauern hindurch Richtung Bad Gastein. Eigentlich ist es ein Autoreisezug, aber er nimmt auch Radfahrer mit. Das Ticket für Mann und Fahrrad gibt es für knapp fünf Euro am Automaten.

Bad Gastein

Bad Gastein

Von Bad Gastein nach Salzburg geht es fast nur noch bergab und ich habe jede Menge Zeit. Also gibt es kürzere Etappen und Ausflüge zu einem Wasserfall und der Eishöhle “Eisriesenwelt” bei Werfen an der Salzach. Der Höhleneingang liegt in 1640 m Höhe, gut 1300 m über der Salzach.

Salzburg

Mozartstadt Salzburg

Am Dienstag, 23.8.2018 erreiche ich nach 2.100 km um 13 Uhr den Campingplatz in Salzburg. Mir bleiben zweieinhalb Tage in Salzburg. Die größte Überraschung gibt es am Tag vor der Abreise: An der Salzach kommt mir eine Gruppe Radfahrer entgegen. Der erste kommt mir so bekannt vor. Aber das kann nicht sein. Aber der zweite und dritte auch. Es sind tatsächlich die sechs aus Bochum, die gerade zu ihrer Tour auf dem Alpe-Adria-Radweg Richtung Grado gestartet sind. aber das ist die andere Geschichte. Am Freitagmorgen fährt der Bus von Salzburg über München nach Bochum. Die Fahrt dauert etwa 17 Stunden. Ich war insgesamt 27 Tage unterwegs.


P.S.: Einige Hinweise

Die Beschreibung der Via Claudia Augusta auf dem neuen Radtourismus-Portal des ADFC (https://www.adfc-radtourismus.de/via-claudia-augusta/):
“Genießen Sie den leichtesten Alpenübergang für Radler”. “Durch die beiden Radshuttle auch in Tirol (Fern- und Reschenpass) nur wenige Steigungen.”
Die Strecke wird in allen Kriterien durchgehend mit mindestens vier von fünf Sternen ausgezeichnet.
Befahrbarkeit, Oberfläche, Wegweisung, Routenführung, Verkehrsbelastung, Infrastruktur, Bus und Bahn, Marketing: Alles super.

Wenn man nur auf die Etappen in Deutschland und Österreich blickt, kann das stimmen. Und richtig: Das ADFC spricht nur über 40% der Strecke nach Altino: 312 km von 773 km.

Betrachtet man die gesamte Strecke, ist das Bild völlig anders. In Italien, spätestens ab der zehnten Etappe, hat die vielgelobte Strecke keine Sterne mehr verdient.
Ab Trento haben drei Etappen hintereinander jeweils mehr als 1.000 Höhenmeter auf 50 bis 70 km Entfernung. Die Etappe 6 über den Reschenpass hat “nur” 990 Höhenmeter. Der Weg von Donauwörth nach Altino hat nach Komoot knapp 8000 Höhenmeter.

10A: “Schwere Fahrradtour. Sehr gute Kondition erforderlich. Auf einigen Passagen wirst du dein Rad evtl. tragen müssen.”
47,7 km 1 010 Höhenmeter
11A: “Schwere Fahrradtour. Sehr gute Kondition erforderlich.”
70,4 km 1 690 Höhenmeter
12A: “Schwere Fahrradtour. Sehr gute Kondition erforderlich.”
61,7 km 1 170 Höhenmeter
13A: “Schwere Fahrradtour. Sehr gute Kondition erforderlich. Auf einigen Passagen wirst du dein Rad evtl. tragen müssen.”

Ich habe mein Rad nie getragen, aber öfter geschoben. Und die letzte Etappe ist längst nicht so schwer wie versprochen.
Die Etappen und Beschreibungen stammen von Kommot:
https://www.komoot.de/collection/759/auf-der-via-claudia-augusta-ueber-die-alpen

Über Klaus Kuliga

Seit 33 Jahren Arbeit an demselben Projekt: Aus Bochum eine fahrradfreundliche Stadt machen. Eine fahrradfreundliche Stadt ist eine Einladung zum Rad fahren. Immer, überall, für jeden.
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