
JCDecaux Werbetafel
Foto: Grüne BV Innenstadt
Wie in Köln mittlerweile wohl jeder mitbekommen hat, haben die Stadt Köln und ihr Stadtwerke-Konzern einen Vertrag für Werbesäulen mit Ströer und für Werbetafeln mit Wall und JCDecaux abgeschlossen.
Die neuen Säulen sind monströs, sie drehen sich und sie sind ebenso wie die Tafeln beleuchtet. Beide Werbeträger lenken die Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer auf sich und sie stehen vor allem Fußgängern und Radfahrern im Weg. Sie wurden viel zu eng in die Kreuzungspunkte und an Radwege gesetzt. Sichtbeziehungen aller Verkehrsteilnehmer werden so verbaut, dass die Unfallgefahren steigen.
Während Werbeträger früher in Abstimmung mit der jeweiligen Bezirksvertretung aufgestellt wurden, ist die lokale Politik in den Prozess nun nicht mehr involviert. Die Firmen wünschen sich einen Standort und es wirkt so, als würden die Wünsche weitgehend unbesehen genehmigt. Eine Begutachtung der Standorte vor Ort kann eigentlich nicht stattgefunden haben, denn alle uns bekannten Baugenehmigungen legen unter anderem fest:
“Die Werbeanlage muss in jedem Fall einen Mindestabstand von 0,50 m zu Fahrbahnen einhalten. Eine lichte Breite von 1,5 m für Gehwege und 2 m für Radwege darf in keinem Fall beeinträchtigt werden. Gegenüber Radwegen ist ein zusätzlicher Sicherheitsabstand von 0,25 m einzuhalten.”

Ströer Werbesäule
Foto: Grüne BV Innenstadt
Außerdem wird vorgeschrieben:
“Die Sichtfelder sind freizuhalten. An Knotenpunkten, Rad-/Gehwegüberfahrten und Übergangsstellen müssen für wartepflichtige Kraftfahrer, Radfahrer und Fußgänger Mindestsichtfelder bis 2,50 m Höhe von ständigen Sichtbehinderungen freigehalten werden.”
Mit den obigen Richtlinien können wir relativ gut leben. Jedoch fragen wir uns, warum sich die Stadt in Kenntnis solcher Notwendigkeiten in der ganzen Stadt selbst anders verhält.
Auch Parkplätze werden bis direkt an Fußgängerüberwege heran legal ausgewiesen. Das Zuparken von Kreuzungen, Fußwegen und Radwegen wird vom Ordnungsamt nicht ernsthaft verfolgt. Über die Vorgabe, zwei Meter für Radwege freihalten zu müssen, haben wir herzlich gelacht. Viele Kölner Radwege sind ja nicht einmal einen Meter breit und kaum ein Radweg entspricht den Baurichtlinien (ERA 2010).
Der sogenannte Radweg an den Kölner Ringen liegt beispielsweise deutlich unter einem Meter und ist dennoch immer noch benutzungspflichtig, weil unser gemeinsam mit vielen Kölner Radfahrern entwickelte und von den anliegenden Geschäftsleuten und der IHK unterstützte 10-Punkte-Plan noch nicht umgesetzt wurde.
Und ebendiese Verwaltung kümmert sich nun darum, dass Werbeanlagenbetreiber die Vorgaben einhalten? Welch Husarenstück! Wir sammeln seit einigen Monaten Standorte und Fotos der Werbesäulen und finden nur wenige Stellen ohne Sichtbehinderung. Viele Bürger haben uns ihre Beispiele an radverkehr at adfc-koeln.de geschickt. Bürgervereine engagieren sich gegen einige Säulen in ihrem Veedel, Lokalpolitiker sind sauer, in Radfahrergruppen werden die Säulen heiß diskutiert. Unbekannte Aktivisten schmückten einige Werbeträger im Herbst letzten Jahres mit gelben Bannern (siehe Fotos). Und alle sind einer Meinung: Die Säulen müssen weg oder zumindest deutlich versetzt werden.
In einigen Fällen waren Bürger mit ihren Beschwerden bereits erfolgreich. Eines unserer ADFC-Mitglieder drohte unlängst mit einer Strafanzeige, weil er herausgefunden hatte, dass es für eine Säule nicht mal eine Baugenehmigung an der neuen Stelle gab. Hier wurde die Säule innerhalb von Stunden abgebaut und an den Standort einer alten Litfaßsäule zurückversetzt. Mit Einwirkung der WDR Lokalzeit aus Köln (Video hier im Beitrag) wurde auch schon mal eine Säule nach ein paar Wochen versetzt. Aber in einigen Fällen bleiben zu versetzende Säulen auch nach Anordnung eines Abbaus noch Monate stehen, obwohl sie verkehrsgefährdend aufgestellt wurden.
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Diese neue Säule ist bis zum Abbau der alten Säule ohne gültige Baugenehmigung. Foto: Michael Hokkeler
Und weiterhin gibt es Säulen, deren Baugenehmigung nur unter der Bedingung erteilt wurde, dass eine alte Litfaßsäule zuvor (!) abgebaut wird. Hier stehen manches Mal die monströse neue Ströer-Säule und die alte Litfaßsäule seit langer Zeit einträchtig nebeneinander. Den vorgeschriebenen Abbau hat der Betreiber “vergessen” und die Verwaltung fordert es nicht ein. Letztendlich stehen so manche der neuen Säulen (rechtlich Gebäude!) ohne gültige Baugenehmigung herum.
Warum macht die Stadt das Ganze? Mit dem neuen Werbevertrag soll die Stadt Einnahmen von etwa 6 Mio. Euro erzielen. Das sieht aber nur auf den ersten Blick gut aus. Bedenkt man, dass zuvor schon mit den deutlich dezenteren Werbeformen 5,5 Mio. Euro eingenommen wurden, klingen die Mehreinnahmen von gerade einmal 500.000 Euro bei einem Haushalt von etwa 4 Mrd. Euro nicht unbedingt wie der große Wurf. Wollen wir wirklich für ein Achtel Promille des städtischen Haushalts unsere Stadt so verschandeln? Ist uns das eine deutlichere Verschlechterung der Verkehrssicherheit wert?
Und wie machen das andere Städte? Beim letzten Vertragsabschluss verhandelte Hamburg für 15 Jahre garantierte Einnahmen von 508 Mio. Euro, also im Durchschnitt fast 34 Mio. Euro pro Jahr. Die etwa sechsmal höheren Einnahmen im Vergleich mit Köln erzielt Hamburg dabei nach unserem Verständnis mit deutlich weniger Werbeträgern. Und diese verteilen sich zudem auf eine fast doppelt so große Stadtfläche. Bei meinem letzten Besuch in Hamburg konnte ich mich zudem davon überzeugen, dass die identischen Säulen dort wesentlich zurückhaltender mit großem Abstand zur Fahrbahn verbaut wurden.
UPDATE: Wir waren noch einmal mit Anke Bruns vom WDR für die “Sprechzeit” in der Lokalzeit aus Köln unterwegs. Während die Firma Ströer nach wie vor nicht für ein Interview bereitstand, stellte sich immerhin Verkehrsamtsleiter Klaus Harzendorf den Fragen von Frau Bruns und sieht nur “Einzelfälle”.
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Projektteam Werbesäulen des ADFC Köln:
Konzept und Dokumentation: Carolin Ohlwein und Christoph Schmidt
Fotos: Anne Zimmer, Claudi Wollkopf und viele ADFC-Mitglieder und Bürger
Wieso Verkehrssicherheit? Autofahrer werden bestimmt nicht behindert oder gefährdet, und Radfahrer und Fußgänger sind doch keine ernst zu nehmenden Verkehrsteilnehmer. Die sollen sich gefälligst ein vernünftiges Verkehrsmittel kaufen (aka Auto).
(Ironie Ende)
Wie die Pestpocken schießen diese Säulen aus dem Boden. Stadtverschönerung nennt man das?
Bisher habe ich noch keine Säule gesehen, die nicht mindestens die Sichtbeziehung massiv behindert. An der Südbrücke wurde dadurch der Rad- und Fußweg “einspurig”.
Auch außerhalb der Innenstandt werden diese Säulen aufgestellt. Die Pest greif um sich!, wenn ich das mal so ausrücken darf.
Ernsthaft: ich habe bisher vier Säulen bei der Stadt moniert (wede in dem Artikel tw. erwähnt), die Schreiben jeweils mit Durchschlag an den ADFC, den “Fahrradbeauftragten” und die Polizei.
Fazit: der ADFC kümmert sich (großes Lob!), die Polizei antwortet wenigstens (irgendwas – letztlich inhaltsleer und ohne Ergebnis) und der Fahrradbeauftragte? Schweigt.
Ich bin der Meinung, daß die Arbeit (!), die sich der ADFC, bzw. einzelne Mitglieder hier machen (und der ein Kampf gegen Windmühlen zu sein scheint!), in erster Linie eine Arbeit wäre, die der “Fahrradbeauftragte” zu tun hätte! Und zwar nicht irgendwann, sondern unverzüglich! Warum geschieht das nicht?
Meine Anregung: Der Fahrradbeauftragte möge befragt werden, warum er noch nicht einmal zu solchen Eingaben Stellung bezieht, geschweige denn tätig wird. Die Polizei möge ebenso gefragt werden, warum sie nicht tätig wird, bzw. welchen Stellenwert ihrer Meinung nach solche Gefährdungen überhaupt haben (scheint jedenfalls nicht zu interessieren, solange niemand ohne Licht da entlang fährt) Solange der Radverkehr in Köln von den Behörden in dieser Art und Weise behandelt wird, bin ich dafür, die Zusammenarbeit durch den ADFC ruhen zu lassen, was “Aktionsbündnisse” wie Velo2010, etc. angeht. Dies beantrage ich gerne zur Abstimmung auf einer Mitgliederversammlung.
Sehr gute Zusammenfassung! Es ist beschämend, wie mit der Stadt, dem Stadtbild und den berechtigten Interessen von Bürgerinnen und Bürgern, Besuchern und Gästen, vor allem aber der Sicherheit von Verkehrsteilnehmern aller Art umgegangen wird. Der Charakter der Stadt und ihre Seele wurde für kleines Geld verkauft und alle ziehen brav mit.
“Der Charakter der Stadt und ihre Seele wurde für kleines Geld verkauft und alle ziehen brav mit.”
Ich glaube da hast Du was grundlegend falsch verstanden!
Dass die Seele für kleines Geld verkauft wird IST doch gerade der Charakter der Stadt.
Das Phänomen hat es ja selbst zu einem (sehr lesenswerten) Eintrag in Wikipedia gebracht:
https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6lner_Kl%C3%BCngel
Da wird sich wohl auch nichts ändern. Wenn sich Korruption bzw. “Klüngel” einmal richtig tief eingefressen hat, dann gilt das Gesetz des Schweigens und niemand traut sich den Whistleblower zu machen, weil er wohl nirgendwo mehr ein Bein an den Grund kriegen würde.
Wer weiss denn schon inwieweit auch Teile von Staatsanwaltschaft und Richterschaft in den “Klüngel” eingebunden sind?
http://www.tagesspiegel.de/politik/milde-strafen-fuer-korruption-in-koeln/516018.html
http://www.ksta.de/koeln/-korruptionsprozess-freispruch-fuer-fruhner,15187530,25537178.html
usw., usw. ,
Im Übrigen:
Natürlich darf man in Internetblogs nicht zu Straftaten aufrufen!
Man darf aber durchaus an die traditionen zivilen Ungehorsams erinnern:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ziviler_Ungehorsam#Deutschland
Insofern sind Selbsthilfemassnahmen und/oder Überplakatierungen, wie auf den Fotos – m.E. sehr sinnvoll, wenn der “Klüngel” mal wieder Leib und Leben der BürgerInnen gefährdet.
Hoffen wir mal, dass uns in anderen Städten nicht auch soetwas blüht.
Auch die Kölnische Rundschau hat sich des Themas angenommen. Nach Verweis auf diesen Blog-Artikel meinte der Redakteur: “Ich habe keine weiteren Fragen. Kann ich daraus einfach zitieren?” Manchmal kann Medienarbeit so einfach sein. ;-)
Die Kölnische Rundschau berichtet über Nachrichten auf Werbeträgern. Ein abgelenkter Autofahrer legt schnell mal zig Meter im Blindflug zurück. Gemeinsam mit dem ADAC sehen wir das kritisch. Muss erst ein schwerer Unfall passieren?